BGH Urteil vom 5. November 2020 Az. I ZR 204/19 - Sinupret, bekannt gegeben heute, 25.1.2021.

Leitsatz, Hervorhebungen durch uns.

Eine Werbung, die einem Arzneimittel aus Sicht eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Werbeadressaten eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen bei einer Anwendung am Menschen beilegt (hier eine entzündungshemmende und antivirale Wirkung bei der Behandlung von Patienten mit akuten, unkomplizierten Entzündungen der Nasennebenhöhlen), ist nach § 3 Satz 1 und 2 Nr. 1 HWG irreführend und unzulässig, wenn sie nicht gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht, weil sie allein auf Angaben in der Fachinformation gestützt wird, wonach sich diese Wirkungen zwar bei Tests an tierischen Organismen (hier einer Rattenpfote) und außerhalb lebender Organismen (in vitro) gezeigt haben, aber bisher keine human-pharmakologischen Untersuchungen zur klinischen Relevanz dieser Ergebnisse vorliegen.

Anmerkung zu Aussagen, die weit über die angenommene Irreführung hinaus reichen, Hervorhebungen von uns 

1. Gehören die Mitglieder des erkennenden Gerichts den angesprochenen Verkehrskreisen nicht an, sind sie daher gleichwohl nicht an der Feststellung der Verkehrsauffassung aus eigener Sachkunde gehindert, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich das Verständnis der angesprochenen speziellen Verkehrskreise von dem des Verkehrskreises unterscheiden könnte, dem sie angehören (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 2018 - I ZR 71/17, GRUR 2019, 196 Rn. 19 = WRP 2019, 184 - Industrienähmaschinen, mwN; OLG Hamburg, ZLR 2016, 715, 721 [juris Rn. 50]; Feddersen, GRUR 2013, 127, 128). 

2. Im entschiedenen Fall unterstellt der I. Zivilsenat, dass „der durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Werbeadressat” nach dem „Strengeprinzip” und dem „wissenschaftlichen oder medizinischen Goldstandard” auffasst.

3. Und dazu legen die Richter des I. Zivilsenats dar, was sich aus diesen beiden Prinzipien für „den durchschnittlich .... Werbeadressaten" ergibt. Siehe dazu den Leitsatz.

4. Es ist gut möglich, dass das Ergebnis zutrifft.

5. Wer das Ergebnis nicht hinnehmen will, kann mit einer Studie nachweisen, dass der von den Richtern des Senats angenommene Sachverhalt im entschiedenen Fall nicht zutrifft. Wir haben ein Musterbeispiel schon zu Beginn unserer Homepage beim Beratungsfeld „Verkehrsauffassungs-Recht” aufgeführt: AfP 1997, 931 ff.

6. Für diesen Gegenbeweis gilt nicht der Satz, dass nachträgliche Studien nicht zu berücksichtigen sind. Dieser Satz zu nachträglichen Studien meint einen anderen Fall. Es gibt zwei Fälle:

a.) Nachträglich wird der Sachverhalt korrigiert.

b.) Nachträglich wird festestellt, dass der Sachverhalt von Anfang an nicht zutraf. Für den entschiedenen Fall gälte b.) Mit diesem Hinweis möchte die Aurorin jedoch nicht zum Ausdruck bringen, dass sie das BGH-Urteil im Ergebnis anzweifelt. Aufgegriffen hat die Autorin dieses heute bekanntgegebene Urteil wegen seines methodischen Wertes. 

Andrea Schweizer

Andrea Schweizer

Rechtsanwältin
zertifizierte Datenschutzauditorin (DSA-TÜV)
zertifizierte Datenschutzbeauftragte (DSB-TÜV)
Hochschullehrbeauftragte für IT-Recht sowie IT-Compliance (in den Studiengängen Informatik, Wirtschaftsinformatik und BWL)

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