Denkwürdig: Landgericht München I, Urteile von heute, 10. Februar 2021, Az. 37 0 15721/20: NetDoktor gegen Bundesrepublik Deutschland und Az. 37 0 17520/20: NetDoktor gegen Google.

Entschieden hat heute die auf Kartellrecht spezialisierte 37. Zivilkammer des Landgerichts München I. Dementsprechend hat sie das Kartellrecht in den Fokus genommen. Von gleichem Gewicht ist die Bedeutung der Urteile für die historisch gewachsene Staatsferne der Medien. Das Gebot der „Staatsferne der Presse“ ergibt sich aus Artikel 5 des Grundgesetzes grundsätzlich unabhängig von einer Marktmacht.

Nicht auszudenken wären gegenteilige Entscheidungen: redaktionelle Aktivität des Staatsapparats einschließlich der Kommunen nach deren Vorstellungen und Wünschen auf Kosten der Steuerzahler und dann auch noch mit Hilfe der Marktmacht der amerikanischen Hightech-Giganten. Das Ganze könnte nur zynisch als demokratisch und rechtsstaatlich bedacht werden. Das LG München I hat solche Schreckgespenste von vornherein  vernichtet. Die Sach- und Rechtslage ist, meinen wir, nun schon so klar herausgearbeitet, dass mit einer grundsätzlichen Änderung der Rechtsprechung nicht zu rechnen ist. Unserer Kanzlei ist die Problematik aus einer Tätigkeit für die Medien seit 1985 und zudem unseres Seniors speziell für den Deutschen Presserat von 1992 bis 2011 bekannt.  

Aus der Pressemitteilung des Landgerichts München I von heute, 10.2.2021, Hervorhebungen von uns:

Die 37. Kammer hat dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und Google vorläufig eine Zusammenarbeit untersagt, die darauf gerichtet ist, bei der Google-Suche nach Krankheiten prominent hervorgehobene Infoboxen (sog. Knowledge Panels) mit Gesundheitsinformationen anzuzeigen, die aus den Inhalten des Nationalen Gesundheitsportals des Bundesministeriums für Gesundheit (gesund.bund.de) gespeist und mit einem Link zu diesem Portal versehen sind. Die Kammer bewertete dies als Kartellverstoß.
Zur Begründung der beiden Urteile führte die Vorsitzende Richterin, Dr. Gesa Lutz, in ihrer mündlichen Urteilsbegründung aus: „Der Betrieb des Nationalen Gesundheitsportals durch das BMG ist keine rein hoheitliche Tätigkeit, sondern eine wirtschaftliche, die anhand des Kartellrechts zu prüfen ist. Das BMG ist mit Google eine Vereinbarung eingegangen, die eine Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Markt für Gesundheitsportale bewirkt. Denn die bestmögliche Position auf der Ergebnisseite der Google-Suche, nämlich die neu geschaffene, prominent hervorgehobene Position „0“ in der Infobox, steht privaten Anbietern von Gesundheitsportalen von vornherein nicht zur Verfügung. Als Betreiber eines Gesundheitsportals ist NetDoktor in besonderem Maße davon abhängig, auf der Suchergebnisseite der Google-Suche eine gute Sichtbarkeit zu erzielen, da rund 90% der Nutzer über eine Google-Suche bei NetDoktor landen. Diese Sichtbarkeit wird stark eingeschränkt, weil die Infoboxen die Aufmerksamkeit der Nutzer von den allgemeinen Suchergebnissen ablenken und auf sich ziehen. Damit stillen sie das Informationsbedürfnis der Nutzer bereits vielfach. Dies führt zu einer Verringerung des Nutzeraufkommens bei NetDoktor und damit potentiell auch zu einem Verlust von Werbeeinnahmen, mit denen NetDoktor als privater Anbieter sein Portal finanziert.
Die Zusammenarbeit von Google und dem BMG ist auch nicht wegen qualitativer Effizienzgewinne, etwa wegen einer Verringerung des Suchaufwands für die Nutzer oder einer Verbesserung der Gesundheitsaufklärung der Bevölkerung durch die Infoboxen, ausnahmsweise zulässig. Denn etwaige mit der Zusammenarbeit verbundene Vorteile wiegen jedenfalls nicht die Nachteile auf. Diese liegen insbesondere in einer möglichen Verdrängung der seriösen privaten Gesundheitsportale und in der damit verbundenen drohenden Reduzierung der Medien- und Meinungsvielfalt. ...
Nicht zu entscheiden hatte die Kammer über die Frage der Zulässigkeit des Nationalen Gesundheitsportals als solches. Der hierauf zielende Antrag wurde von Netdoktor nach Hinweis des Gerichts zurück genommen.

Andrea Schweizer

Andrea Schweizer

Rechtsanwältin
zertifizierte Datenschutzauditorin (DSA-TÜV)
zertifizierte Datenschutzbeauftragte (DSB-TÜV)
Hochschullehrbeauftragte für IT-Recht sowie IT-Compliance (in den Studiengängen Informatik, Wirtschaftsinformatik und BWL)

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