Europäischen Gerichtshof, Urteil vom 09.03.2021, Az. C-392/19.

Leitsatz

Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass die Einbettung in die Website eines Dritten im Wege der Framing-Technik von urheberrechtlich geschützten und der Öffentlichkeit mit Erlaubnis des Inhabers des Urheberrechts auf einer anderen Website frei zugänglich gemachten Werken eine öffentliche Wiedergabe im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn sie unter Umgehung von Schutzmaßnahmen gegen Framing erfolgt, die der Rechtsinhaber getroffen oder veranlasst hat.

Vorgeschichte, wie der EuGH sie schildert:

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. 2001, L 167, S. 10, Berichtigung ABl. 2002, L 6, S. 71).

Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der VG Bild-Kunst, einer Gesellschaft zur kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten an Werken der bildenden Künste in Deutschland, und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (im Folgenden: SPK), einer deutschen Stiftung zur Erhaltung des kulturellen Erbes, wegen der Weigerung der VG Bild-Kunst, mit der SPK einen Lizenzvertrag über die Nutzung ihres Repertoires von Werken zu schließen, ohne dass eine Bestimmung in den Vertrag aufgenommen wird, wonach sich die SPK als Lizenznehmerin verpflichtet, bei der Nutzung der vertragsgegenständlichen Werke und Schutzgegenstände wirksame technische Maßnahmen gegen Framing dieser Werke und dieser Schutzgegenstände durch Dritte anzuwenden.

Begründung

Der EuGH wendet schließlich den Auslegungsgrundsatz an: argumentum e contrario.

Ginge man davon aus, dass, wenn in eine Website eines Dritten im Wege der Framing-Technik ein Werk eingebettet wird, das zuvor auf einer anderen Website mit Erlaubnis des Urheberrechtsinhabers wiedergegeben worden ist (obwohl dieser Rechtsinhaber Maßnahmen zum Schutz gegen dieses Framing getroffen oder veranlasst hat, dieses Werk keinem neuen Publikum zugänglich gemacht wird), liefe dies darauf hinaus, eine Regel über die Erschöpfung des Rechts der Wiedergabe aufzustellen (vgl. entsprechend Urteil vom 7. August 2018, Renckhoff, C‑161/17, EU:C:2018:634, Rn. 32 und 33).
Eine solche Regel widerspräche nicht nur dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29, sondern nähme diesem Urheberrechtsinhaber die im zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie genannte Möglichkeit, eine angemessene Vergütung für die Nutzung seines Werkes zu verlangen, obwohl, wie der Gerichtshof ausgeführt hat, der spezifische Gegenstand des geistigen Eigentums insbesondere den Inhabern der betreffenden Rechte den Schutz der Befugnis gewährleisten soll, das Inverkehrbringen oder die Zugänglichmachung der Schutzgegenstände dadurch kommerziell zu nutzen, dass gegen Zahlung einer Vergütung Lizenzen erteilt werden (Urteil vom 7. August 2018, Renckhoff, C‑161/17, EU:C:2018:634, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).
54 Eine solche Einbettung im Wege der Framing-Technik zuzulassen, ohne dass der Urheberrechtsinhaber die in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen Rechte geltend machen kann, liefe daher dem in den Erwägungsgründen 3 und 31 dieser Richtlinie genannten angemessenen Ausgleich zuwider, den es zwischen den Interessen der Inhaber von Urheber- und verwandten Rechten am Schutz ihres Rechts am geistigen Eigentum, das von Art. 17 Abs. 2 der Charta garantiert wird, einerseits und dem Schutz der Interessen und Grundrechte der Nutzer von Schutzgegenständen, insbesondere deren Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit, die von Art. 11 der Charta garantiert wird, sowie dem Allgemeininteresse andererseits im Umfeld der Digitaltechnik zu sichern gilt (vgl. entsprechend Urteil vom 7. August 2018, Renckhoff, C‑161/17, EU:C:2018:634, Rn. 41).
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen ist, dass die Einbettung in die Website eines Dritten im Wege der Framing-Technik von urheberrechtlich geschützten und der Öffentlichkeit mit Erlaubnis des Inhabers des Urheberrechts auf einer anderen Website frei zugänglich gemachten Werken eine öffentliche Wiedergabe im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn sie unter Umgehung von Schutzmaßnahmen gegen Framing erfolgt, die der Rechtsinhaber getroffen oder veranlasst hat.

Andrea Schweizer

Andrea Schweizer

Rechtsanwältin
zertifizierte Datenschutzauditorin (DSA-TÜV)
zertifizierte Datenschutzbeauftragte (DSB-TÜV)
Hochschullehrbeauftragte für IT-Recht sowie IT-Compliance (in den Studiengängen Informatik, Wirtschaftsinformatik und BWL)

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