Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 3.6.2022, Az. 1BvR 2103/16. Wir zitieren vollständig einen wichtigen Teil des Beschlusses. Claudia Pechstein war eine öffentliche Verhandlung versagt worden. Ihr Prozess gegen die Internationale Eislauf-Union (ISU) und die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) um eine Entschädigung in Millionenhöhe kann damit vor dem Münchner Oberlandesgericht (OLG) fortgesetzt werden. Wie so verhältnismäßig oft wurde Sportrecht rechtswidrig abgefasst und gehandhabt.

Der Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen ist ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips und geht in seiner Bedeutung damit über einzelne Verfahrensregelungen weit hinaus.

Auch entspricht er dem allgemeinen Öffentlichkeitsprinzip der Demokratie. Die Gerichtsöffentlichkeit sollte in Gestalt einer Verfahrensgarantie dem Schutz der an der Verhandlung Beteiligten gegen eine der öffentlichen Kontrolle entzogene Geheimjustiz dienen. Ist durch die normative Ausgestaltung des Verfahrens ein gleichwertig effektiver, rechtsstaatlichen Mindeststandards entsprechender Rechtsschutz zu gewährleisten, ist daher zu beachten, dass Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips auch der Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen ist, der in Art. 6 Abs. 1 EMRK ergänzend normiert ist. Die rechtsstaatliche Komponente der Gerichtsöffentlichkeit zielt darauf, die Einhaltung des formellen und materiellen Rechts zu gewährleisten. Dies soll zur Gewährleistung von Verfahrensgerechtigkeit im Sinne einer Verfahrensgarantie der Beteiligten beitragen. Dabei kann die Öffentlichkeit aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls auch dort ganz oder teilweise ausgeschlossen werden, wo sie nach der Verfassung grundsätzlich geboten ist. Der Grundsatz der Öffentlichkeit besagt insbesondere noch nichts zu den Modalitäten, unter denen die Öffentlichkeit zugelassen wird.

Das entspricht auch den Gewährleistungen aus Art. 6 Abs. 1 EMRK. Die Europäische Menschenrechtskonvention steht in der deutschen Rechtsordnung im Rang eines Bundesgesetzes. Im Rahmen der Heranziehung der EMRK als Auslegungshilfe berücksichtigt das Bundesverfassungsgericht allerdings Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. In der Rechtsprechung des EGMR ist zwar anerkannt, dass Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht in allen Fällen eine öffentliche Verhandlung voraussetzt und auf eine öffentliche Verhandlung verzichtet werden kann. Daher können freiwillige Schiedsverfahren regelmäßig auch nicht-öffentliche Verhandlungen vorsehen. Die Voraussetzungen, unter denen von einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden kann, lagen im Streitfall nach der Entscheidung des EGMR indes nicht vor.

Bei dem Verstoß gegen den rechtsstaatlich zwingend zu beachtenden Öffentlichkeitsgrundsatz handelt es sich auch nicht nur um einen Verstoß gegen eine bloße Verfahrensklausel.

Andrea Schweizer

Andrea Schweizer

Rechtsanwältin
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Hochschullehrbeauftragte für IT-Recht sowie IT-Compliance (in den Studiengängen Informatik, Wirtschaftsinformatik und BWL)

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