Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), Straßburg, hat Deutschland in einer einstimmigen Entscheidung (Application no. 46344/06) wegen der Verletzung von Artikel 6 § 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf ein faires Verfahren innerhalb angemessener Frist) in einem „Piloturteil“ verurteilt.
Ein Antrag auf Erteilung eines Waffenscheins führte zu einer 13 Jahre andauernden Odyssee durch den deutschen Verwaltungsapparat und die deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Der EGMR stellte fest, dass der in rechtlicher wie tatsächlicher Hinsicht nicht sehr komplex erscheinende Fall im Wesentlichen durch den deutschen Staat verzögert wurde und die Anteile an der Verzögerung, die dem Antragssteller angelastet werden konnten, so minimal seien, dass sie nicht ins Gewicht fielen.
Der Gerichtshof befand auch darüber, dass der zwischenzeitlich auf den Weg gebrachte neue Entwurf eines Gesetzes über Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren noch immer nicht umgesetzt wurde. Er stellte klar, dass die Verzögerungen des Gesetzgebers keine Entlastung für Deutschland darstellten.
Der Gerichtshof bestätigte ferner, dass es in Deutschland noch keinen wirksamen Schutz gegen ähnlich andauernde überlange Verfahren gibt.
Der EGMR spricht daher von „systematischem Charakter der Probleme“. Im Zeitraum zwischen 1959 und 2009 urteilte der Gerichtshof gegen Deutschland wegen solcher Verzögerungen in mehr als 40 Fällen, in 2009 allein in 13 Fällen. Zudem seien, so das Gericht, weitere 55 Verfahren mit ähnlicher Zielrichtung anhängig.
Der EGMR wandte daher das „Pilotverfahren“ an, das unter Art. 46 MRK durch Fallrecht des Gerichtshofes entwickelt wurde. Es soll bereits auf nationaler Ebene die schnellstmögliche Behebung des systematischen Verstoßes beenden.
Der Gerichtshof verurteilte Deutschland wegen der Verstöße gegen die Menschenrechtskonvention gem. Art. 41 MRK zu immateriellem Schadensersatz i.H.v. € 10.000,-, obwohl der Antragsteller keinen entsprechenden Schaden nachweisen konnte.
Zudem muss Deutschland einen Teil der vor deutschen Gerichten angefallenen Verfahrenskosten i.H.v. € 1740 und - unter Anrechnung der gewährten Prozesskostenhilfe - weitere Kosten vor dem EGMR i.H.v. € 1750 tragen.
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