Nicht abgeholtes, beim Postamt hinterlegtes Einschreiben mit empfangsbedürftiger Willenserklärung

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

26. 11. 1997


Aktenzeichen

VIII ZR 22/97


Leitsatz des Gerichts

Zur Frage, wann eine per Einschreiben abgesandte empfangsbedürftige Willenserklärung wirksam wird, wenn die beim Postamt niedergelegte Sendung vom Adressaten trotz schriftlicher Mitteilung über die Niederlegung nicht abgeholt wird (Abgrenzung zu BGHZ 67, 271).

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 18. Dezember 1996 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand


Tatbestand:

Der Kläger verlangt die Zahlung des Kaufpreises für einen VW-Campingbus.

Er beauftragte und bevollmächtigte Frau U. M. damit, den Verkauf seines Fahrzeugs zu vermitteln. Am 8. September 1994 gab der Beklagte gegenüber Frau M. ein Angebot zum Kauf für 13.950 DM ab. Das von ihm unterzeichnete Bestellformular lautet u. a.:

„Der Käufer ist an diese Bestellung 10 Tage gebunden. Der Kaufvertrag ist abgeschlossen, wenn der Verkäufer durch den Vermittler die Annahme der Bestellung innerhalb dieser Frist schriftlich bestätigt hat oder die Lieferung ausgeführt ist.“

Mit an den Beklagten gerichtetem Einschreiben vom 10. September 1994 erklärte Frau M. für den Kläger die Annahme des Angebots vom 8. September 1994. Beim Versuch, die Postsendung zuzustellen, traf die Postbotin den Beklagten nicht an. Sie hinterließ deshalb in dessen Briefkasten die schriftliche Mitteilung, für ihn sei ein eingeschriebener Brief bei der näher bezeichneten Postanstalt niedergelegt.

Der Beklagte holte die Postsendung nicht ab. Mit Stempelaufdruck vom 21. September 1994 und dem Vermerk „Empfänger benachrichtigt, da nicht abgefordert, nach Ablauf der Lagerfrist zurück“ ging der Einschreibebrief wieder an U. M.

Der Beklagte nahm weder das Fahrzeug ab, noch leistete er die laut Bestellformular zu entrichtende Anzahlung. Eine schriftliche Aufforderung der Frau M. vom 24. November 1994 zur Abnahme des Camping-Busses und Zahlung des Kaufpreises, verbunden mit einem Hinweis auf die von ihr erklärte Angebotsannahme, blieb ergebnislos. Frau M. erhob daraufhin Klage mit dem Antrag, den Beklagten zur Zahlung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Lieferung des VW-Campingbusses zu verurteilen. Zur Begründung führte sie aus, zwischen Herrn G., dem jetzigen Kläger und dem Beklagten sei ein Vertrag über den Kauf des Fahrzeugs zustande gekommen. Die schriftliche Annahme seiner Bestellung sei fristgerecht zugegangen; zumindest sei dem Beklagten nach Treu und Glauben verwehrt, sich darauf zu berufen, dass er die Erklärung verspätet erhalten habe.

Das Landgericht hat den geltend gemachten Kaufpreisanspruch bejaht und der Klage bis auf einen Teil der Zinsforderung stattgegeben. Im Berufungsrechtszug ist der Kläger an Stelle von Frau M. in den Prozess eingetreten. Das Oberlandesgericht hat den Parteiwechsel als sachdienlich (§ 263 ZPO) angesehen. In sachlicher Hinsicht hat es das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, erstrebt der Kläger die Wiederherstellung der landgerichtlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hat die Klageabweisung wie folgt begründet:

Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Kaufpreiszahlung zu, weil ein Vertrag zwischen den Parteien nicht zustande gekommen sei. Die zum Vertragsschluss erforderliche schriftliche Annahmeerklärung sei dem Beklagten nicht fristgerecht zugegangen. Der Zugang des Benachrichtigungsscheins über die Niederlegung der Einschreibesendung bewirke weder den Zugang des Einschreibens selbst, noch könne er dessen Zugang ersetzen. Auch nach Treu und Glauben sei es dem Beklagten nicht verwehrt, sich auf den fehlenden Zugang zu berufen. Denn die frühere Klägerin habe es in Kenntnis der gescheiterten Zustellung ihres Einschreibens vom 10. September 1994 unterlassen, ihre Annahmeerklärung zu wiederholen.

Anders verhielte es sich, wenn der Beklagte gewußt hätte, dass die im Benachrichtigungsschein bezeichnete Einschreibesendung die Annahmeerklärung enthielt und er deshalb die Abholung unterlassen hätte. Dies könne jedoch nach dem Sachvortrag des Klägers nicht festgestellt werden.


II.

Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass für die Klage allein § 433 Abs. 2 BGB als Anspruchsgrundlage in Betracht kommt. Rechtsfehlerfrei nimmt es an, ein Kaufvertrag sei nicht zustande gekommen.

1. Die Annahme des vom Beklagten abgegebenen Kaufangebots konnte nach § 148 BGB nur innerhalb der im Bestellformular genannten 10-Tagesfrist erfolgen. Ein Vertrag wäre deshalb zwischen den Parteien zustande gekommen, wenn die - empfangsbedürftige - Annahmeerklärung dem Beklagten innerhalb dieser Frist zugegangen wäre, § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dies war nicht der Fall.

Zugegangen ist eine Willenserklärung, sobald sie derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass bei Annahme gewöhnlicher Verhältnisse damit zu rechnen ist, er könne von ihr Kenntnis erlangen (BGHZ 67, 271, 275). Danach ist dem Beklagten fristgerecht allein der von der Postzustellerin gefertigte Benachrichtigungsschein zugegangen. Dieser Zettel unterrichtet den Empfänger, dass für ihn eine Einschreibesendung bei der Post zur Abholung bereit liegt. Er enthält aber keinen Hinweis auf den Absender des Einschreibebriefs und lässt den Empfänger im Ungewissen darüber, welche Angelegenheit die Einschreibesendung zum Gegenstand hat. Zu Recht hat deshalb das Oberlandesgericht angenommen, der Zugang des Benachrichtigungsscheins habe nicht den Zugang des Einschreibebriefes ersetzt (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 1970 - IV ZR 52/69 = VersR 1971, 262 unter 1; BGHZ 67, 271, 275; BAG NJW 1963, 554, 555).

2. Vergeblich rügt die Revision, der Beklagte müsse sich gemäß § 242 BGB so behandeln lassen, als ob ihm die Annahmeerklärung rechtzeitig zugegangen wäre.

a) Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung muss derjenige, der aufgrund bestehender oder angebahnter vertraglicher Beziehungen mit dem Zugang rechtserheblicher Erklärungen zu rechnen hat, geeignete Vorkehrungen treffen, dass ihn derartige Erklärungen auch erreichen (RGZ 110, 34, 36; BGH, Urteil vom 18. Dezember 1970 - IV ZR 52/69 = VersR 1971, 262, 263; BGHZ 67, 271, 278; BGH, Urteil vom 27. Oktober 1982 - V ZR 24/82 = NJW 1983, 929, 930; BAG, Urteil vom 3. April 1986 = DB 1986, 2336 f). Tut er dies nicht, so wird darin vielfach ein Verstoß gegen die durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen oder den Abschluss eines Vertrages begründeten Sorgfaltspflichten gegenüber seinem Partner liegen (vgl. RGZ 110, 34, 36; BGH, Urteil vom 18. Dezember 1970 a. a. O.).

Eine andere Frage ist jedoch, ob dieser Sorgfaltsverstoß innerhalb der vertraglichen oder vorvertraglichen Beziehungen so schwer wiegt, dass es gerechtfertigt ist, den Adressaten nach Treu und Glauben so zu behandeln, als habe ihn die infolge seiner Sorgfaltsverletzung nicht zugegangene Willenserklärung doch erreicht. Die Rechtsprechung hebt hierfür auch auf das Verhalten des Erklärenden ab. Er kann nach den Grundsätzen von Treu und Glauben aus seiner nicht zugegangenen Willenserklärung ihm günstige Rechtsfolgen nur dann ableiten, wenn er alles Erforderliche und ihm Zumutbare getan hat, damit seine Erklärung den Adressaten erreichen konnte. Dazu gehört in der Regel, dass er nach Kenntnis von dem nicht erfolgten Zugang unverzüglich einen erneuten Versuch unternimmt, seine Erklärung derart in den Machtbereich des Empfängers zu bringen, dass diesem ohne weiteres eine Kenntnisnahme ihres Inhalts möglich ist (RGZ 110, 34, 37; BGH, Urteil vom 13. Juni 1952 - I ZR 158/51 = LM BGB § 130 Nr. 1; BGH, Urteil vom 18. Dezember 1970 a. a. O.; BAG, Urteil vom 3. April 1986 a. a. O. unter II 4 e). Dies folgt daraus, dass eine empfangsbedürftige Willenserklärung Rechtsfolgen grundsätzlich erst dann auslöst, wenn sie zugegangen ist. Welcher Art dieser erneute Versuch des Erklärenden sein muss, hängt von den konkreten Umständen wie den örtlichen Verhältnissen, dem bisherigen Verhalten des Adressaten, den Möglichkeiten des Erklärenden und auch von der Bedeutung der abgegebenen Erklärung ab und kann allgemein nicht entschieden werden.

Ein wiederholter Zustellungsversuch des Erklärenden ist allerdings dann nicht mehr sinnvoll und deshalb entbehrlich, wenn der Empfänger die Annahme einer an ihn gerichteten schriftlichen Mitteilung grundlos verweigert, obwohl er mit dem Eingang rechtserheblicher Mitteilungen seines Vertrags- oder Verhandlungspartners rechnen muss (BGH, Urteil vom 27. Oktober 1982 - V ZR 24/82 = NJW 1983, 929, 930 f). Gleiches wird zu gelten haben, wenn der Adressat den Zugang der Erklärung arglistig vereitelt. Eine derartige Situation liegt hier jedoch nicht vor. Der Beklagte hat weder die Annahme des Einschreibebriefes verweigert, noch rechtfertigt sein Verhalten den Vorwurf der Arglist. Nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts musste er nicht damit rechnen, dass der Einschreibebrief die Annahme seines Kaufangebotes enthielt, weil im Benachrichtigungszettel keine Angaben über den Absender vermerkt waren. Hinzu kommt, dass nach dem Wortlaut des Bestellformulars auch eine Übersendung der schriftlichen Annahmeerklärung durch einfachen Brief der Form genügt hätte. Der Beklagte musste deshalb die Einschreibesendung nicht notwendig mit seinem Kaufangebot in Verbindung bringen. Nicht ausgeschlossen ist auch, worauf das Berufungsgericht ebenfalls hinweist, dass der Beklagte die Abholung vergessen hat oder ihm der Benachrichtigungszettel abhanden gekommen ist.

Außerhalb der Sonderfälle der Annahmeverweigerung und der arglistigen Zugangsvereitelung hat der Senat allerdings im Urteil vom 3. November 1976 (BGHZ 67, 271) den Adressaten einer nicht an ihn gelangten Vertragskündigung auch ohne erneuten Zustellungsversuch des Kündigenden nach § 242 BGB so behandelt, als sei ihm die Kündigung zugegangen. Der dortige Fall unterschied sich dadurch von dem hier gegebenen Sachverhalt, dass die Kündigung nach dem Bayerischen Verwaltungszustellungs- und -vollstreckungsgesetz durch die Post zugestellt, wegen Abwesenheit des Empfängers bei dem Postamt niedergelegt und eine schriftliche Mitteilung über die Niederlegung in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise bei dem Empfänger hinterlassen worden war (a. a. O. S. 275). Dadurch wurde zwar nicht die Zugangsfiktion des § 132 BGB ausgelöst (a. a. O. S. 277). Immerhin hatte aber der Kündigende gegenüber dem hier verwendeten Einschreibebrief eine andere, nachhaltigere Form der Zustellung der Kündigungserklärung gewählt. Sollte die damalige Senatsentscheidung in dem Sinne zu verstehen sein, dass auch bei einer fehlgeschlagenen Zustellung per Einschreibebrief ein erneuter Zustellungsversuch des Erklärenden entbehrlich ist, könnte der Senat daran nicht festhalten.

b) Hiernach durfte es Frau M. nicht dabei bewenden lassen, dass sie ihre Annahmeerklärung dem Beklagten nur einmal per Einschreibebrief zuschickte. Da sie nach Erhalt der Mitteilung, dass der Beklagte den Einschreibebrief nicht bei der Post abgeholt hatte, untätig blieb, kann der Kläger auch nach Treu und Glauben aus ihrer Erklärung über die Annahme des Kaufangebots keine Rechte herleiten.

c) Die Revision macht demgegenüber geltend, mangels anderweiter Feststellungen des Berufungsgerichts sei davon auszugehen, dass Frau M. erst nach Ablauf der zehntägigen Frist für die Annahme des Kaufangebotes des Beklagten erfahren habe, dass ihre Annahmeerklärung den Beklagten nicht erreicht hatte. Da zu diesem Zeitpunkt ein Kaufvertrag wegen Ablaufs der Annahmefrist ohnehin nicht mehr hätte zustande kommen können, wäre eine Wiederholung der schriftlichen Annahmeerklärung ohne Sinn gewesen. Auch diese Rüge geht fehl. Die Revision übersieht, dass nach einem unverzüglichen zweiten Zustellungsversuch dem Adressaten nicht nur der Einwand abgeschnitten wird, die Erklärung sei nicht zugegangen, sondern auch der Einwand, diese Erklärung sei nicht rechtzeitig zugegangen (RGZ 110, 34, 37; BGH, Urteil vom 13. Juni 1952 a. a. O.).

d) Ohne Belang ist ferner, dass Frau M. im Schreiben vom 24. November 1994 an den Beklagten auf ihre in der Einschreibesendung enthaltene Annahmeerklärung Bezug nahm. Auch wenn hierin eine Wiederholung dieser Willenserklärung gesehen werden könnte, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Zwar ist diese Erklärung dem Beklagten zugegangen. Jedoch wurde sie nicht unverzüglich, sondern erst über einen Monat nach dem Zeitpunkt abgegeben, zu welchem Frau M. von der missglückten Zustellung erfahren hatte.

Rechtsgebiete

Informations- und Telekommunikationsrecht

Normen

BGB § 130 I