Der Bundesgerichtshof zur Kanzleiorganisation bei Fristverlängerung

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Beschluss über Beschwerde


Datum

13. 07. 2010


Aktenzeichen

VI ZB 1/10


Leitsatz des Gerichts

  1. Bei der Organisation des Fristenwesens in seiner Kanzlei hat der Anwalt durch geeignete Anweisungen sicherzustellen, dass die zur wirksamen Fristenkontrolle erforderlichen Handlungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt und im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem den Fristenlauf auslösenden Ereignis vorgenommen werden.

  2. Beantragt der Anwalt eine Fristverlängerung, so muss das hypothetische Ende der beantragten Fristverlängerung bei oder alsbald nach Einreichung des Verlängerungsantrags im Fristenkalender eingetragen, als vorläufig gekennzeichnet und rechtzeitig, spätestens nach Eingang der gerichtlichen Mitteilung überprüft werden, damit das wirkliche Ende der Frist festgestellt wird.

Tenor

Die Rechtsbeschwerden gegen den Beschluss des 13. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 1. Dezember 2009 werden auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.

Beschwerdewert: 330.442,17 €

Entscheidungsgründe


Gründe:

I.

Die Beklagten haben gegen das ihnen am 21. Juli 2009 zugestellte Urteil des Landgerichts am 5. August 2009 Berufung eingelegt. Auf ihren am 18. September 2009 eingegangenen Antrag hat das Berufungsgericht die Frist zur Berufungsbegründung bis zum 21. Oktober 2009 verlängert und den Prozessbevollmächtigten der Beklagten hiervon mit Schreiben vom 24. September 2009, eingegangen in dessen Kanzlei am 28. September 2009, in Kenntnis gesetzt. Nachdem der Vorsitzende des Berufungssenats mit Schreiben vom 2. November 2009 auf den inzwischen eingetretenen Ablauf der Berufungsbegründungsfrist hingewiesen hatte, haben die Beklagten durch ihren Prozessbevollmächtigten die Berufung am 10. November 2009 begründet und einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Sie haben geltend gemacht, das Fristenwesen sei im Büro ihres Prozessbevollmächtigten so geregelt, dass die Berechnung von Rechtsmittelfristen durch den anwaltlichen Sachbearbeiter erfolge, der diese auf der hinteren Innenseite des Aktendeckels vermerke. Die Sekretärin, die die Akte zur weiteren Bearbeitung übernehme, gehe mit der Akte zum Bürovorsteher, der den Fristenkalender führe, die Fristen eintrage und die erfolgte Eintragung durch sein Namenszeichen auf dem Aktendeckel bei der dort vermerkten Frist bestätige. Im Streitfall sei die Akte dem die Sache bearbeitenden Rechtsanwalt N. zum Ablauf der Vorfrist am 14. September 2009 vorgelegt worden. Er habe wegen Arbeitsüberlastung eine Fristverlängerung beantragt. Die Rechtsanwaltsfachangestellte P. habe sich am 25. September 2009 telefonisch darüber vergewissert, dass die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß zum 21. Oktober 2009 verlängert worden sei. Die am 28. September 2009 eingegangene gerichtliche Mitteilung über die Fristverlängerung sei Rechtsanwalt N. am selben Tag mit der gesamten an diesem Tag eingegangenen Post vorgelegt worden. Rechtsanwalt N. habe verfügt, die Mitteilung den Beklagten und der Haftpflichtversicherung per Telefax zu übermitteln, und sie dann entsprechend der generellen Handhabung im Umlaufverfahren an alle an diesem Tag anwesenden Sozien weitergeleitet, bevor sie der mit der Bearbeitung der eingehenden Post befassten Angestellten, Frau B., wieder vorgelegt worden sei. Diese habe am 29. September 2009 die Verfügung von Rechtsanwalt N. ausgeführt und ihm die Mitteilung mit der Akte erneut vorgelegt. Der Anwalt habe sodann die verlängerte Berufungsbegründungsfrist sowie eine Vorfrist von einer Woche auf der Innenseite des hinteren Aktendeckels notiert und auf dem Schriftstück verfügt, dass dieses zu den Akten genommen werden solle. Die Angestellte P. habe die Mitteilung des Gerichts in der Akte abgeheftet und diese im Aktenschrank abgelegt, ohne die Fristen vom Bürovorsteher in den Fristenkalender eintragen und die erfolgte Eintragung auf der Innenseite des Aktendeckels bestätigen zu lassen.

2 Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richten sich die Rechtsbeschwerden der Beklagten.


II.

Die Rechtsbeschwerden sind statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie sind jedoch nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung oder zur Fortbildung des Rechts auf, noch erfordert sie die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.

1. Das Berufungsgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen, weil die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einem den Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruhe. Dieser habe nicht durch geeignete organisatorische Maßnahmen sichergestellt, dass die Rechtsmittelfristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert würden. Er habe insbesondere keine Sorge dafür getragen, dass die zur wirksamen Fristenkontrolle erforderlichen Handlungen schnellstmöglich und im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang vorgenommen würden. So kontrolliere der Bürovorsteher die eingehende Post nicht etwa eigenständig und unverzüglich auf fristenrelevante Schreiben, sondern werde erst nach einem Umweg über Dritte - nämlich über den sachbearbeitenden Rechtsanwalt und dessen Sekretärin und zum Teil auch erst nach einem Postumlauf im Kreise der Sozien - über einzutragende Fristen informiert. Bei einer solchen Konstellation könne es aufgrund von Kompetenzüberschneidungen zu einer Vielzahl von Fehlerquellen kommen. Abgesehen davon fehlten auch organisatorische Maßnahmen, die eine zeitnahe Eintragung einer verlängerten Frist im Zusammenhang mit einer telefonischen Rückfrage bei Gericht gewährleisteten. Dass derartige Sicherungsmechanismen bei der Fristenbehandlung im Büro des Beklagtenvertreters nicht vorhanden seien, ergebe sich daraus, dass dieser bei Erhalt der schriftlichen Verlängerungsmitteilung am 28. September 2009 wie selbstverständlich davon ausgegangen sei, dass im Kalender noch keine neuen Fristen eingetragen seien. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten habe die durch die unzureichende Organisation des Fristenwesens geschaffene Gefahr, dass die Eintragung einer Frist in Vergessenheit gerate, zusätzlich dadurch erhöht, dass er auf der schriftlichen Verlängerungsmitteilung verfügt habe, die Mitteilung den Beklagten zu übermitteln und die Mitteilung zu den Akten zu nehmen. Diese Verfügungen seien geeignet gewesen, die Rechtsanwaltsfachangestellte von weiteren Verfügungen auf der Innenseite des hinteren Aktendeckels abzulenken.

2. Das Berufungsgericht hat den Beklagten die beantragte Wiedereinsetzung zu Recht versagt, weil die Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung auf einem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruht und dies den Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist. Die Beklagten haben weder dargetan noch glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter durch eine ordnungsgemäße Organisation der Fristenkontrolle in seiner Kanzlei dafür Sorge getragen hat, dass nach einem Fristverlängerungsantrag die Frist nicht versäumt wird.

a) Nach gefestigter Rechtsprechung verlangt die Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts in Fristensachen zuverlässige Vorkehrungen, um den rechtzeitigen Ausgang fristwahrender Schriftsätze sicherzustellen. Zu den Aufgaben des Rechtsanwalts gehört es deshalb, durch entsprechende Organisation seines Büros dafür zu sorgen, dass die Fristen ordnungsgemäß eingetragen und beachtet werden. Der Anwalt hat sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Fristen auszuschließen (Senatsbeschluss vom 15. April 2008 - VI ZB 29/07 - JurBüro 2009, 54, 55; BGH, Beschluss vom 10. Oktober 1991 - VII ZB 4/91 - BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 22 m.w.N.). Ein bestimmtes Verfahren ist insoweit zwar weder vorgeschrieben noch allgemein üblich (BGH, Urteile vom 21. Dezember 1988 - VIII ZR 84/88 - BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 11; vom 5. Mai 1993 - XII ZR 44/92 - NJW-RR 1993, 1213, 1214; Beschluss vom 9. Dezember 2009 - XII ZB 154/09 - MDR 2010, 400). Auf welche Weise der Anwalt sicherstellt, dass die Eintragung im Fristenkalender und die Wiedervorlage der Handakten rechtzeitig erfolgen, steht ihm grundsätzlich frei (vgl. Senatsbeschluss vom 15. April 2008 - VI ZB 29/07 - aaO; BGH, Beschluss vom 25. März 1992 - XII ZR 268/91 - FamRZ 1992, 1058). Sämtliche organisatorischen Maßnahmen müssen aber so beschaffen sein, dass auch bei unerwarteten Störungen des Geschäftsablaufs, etwa durch Überlastung oder Erkrankung der zuständigen Angestellten, Verzögerungen der anwaltlichen Bearbeitung oder ähnliche Umstände, bei Anlegung eines äußersten Sorgfaltsmaßstabes die Einhaltung der anstehenden Frist gewährleistet ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. August 1999 - VII ZB 12/99 - VersR 2000, 120, 121). Insbesondere muss sichergestellt sein, dass die zur wirksamen Fristenkontrolle erforderlichen Handlungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt, d.h. unverzüglich nach Eingang des betreffenden Schriftstücks, und im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang vorgenommen werden (BGH, Beschluss vom 5. Februar 2003 - VIII ZB 115/02 - VersR 2003, 1460, 1461). Beantragt der Prozessbevollmächtigte eine Fristverlängerung, so muss das hypothetische Ende der beantragten Fristverlängerung bei oder alsbald nach Einreichung des Verlängerungsantrags im Fristenkalender eingetragen, als vorläufig gekennzeichnet und rechtzeitig, spätestens nach Eingang der gerichtlichen Mitteilung überprüft werden, damit das wirkliche Ende der Frist festgestellt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 1999 - XII ZB 62/99 - NJW-RR 1999, 1663; vom 22. November 2001 - XII ZB 195/01 - NJW-RR 2002, 712; vom 13. Dezember 2001 - VII ZB 19/01 - NJOZ 2002, 906, 907 und vom 14. Juni 2007 - I ZB 5/06 - AnwBl. 2007, 796, 797).

b) Diesen Anforderungen entsprach die Organisation des Fristenwesens in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht.

aa) Nach den von den Rechtsbeschwerden nicht angegriffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts hatte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten keinerlei Vorkehrungen getroffen, durch die sichergestellt worden wäre, dass das hypothetische Ende der von ihm beantragten Fristverlängerung bei oder alsbald nach Einreichung des Verlängerungsantrags im Fristenkalender eingetragen wird. Danach ging der Prozessbevollmächtigte der Beklagten, der das Fristenwesen in seiner Kanzlei dergestalt organisiert hat, dass er die Rechtsmittelfristen berechnet und diese auf der Innenseite der hinteren Aktendecke zwecks Eintragung durch den Bürovorsteher vermerkt, wie selbstverständlich davon aus, dass im Zeitpunkt des Eingangs der gerichtlichen Verlängerungsmitteilung am 28. September 2009 noch keine (hypothetischen) Fristen im Fristenkalender notiert waren, die mit der gerichtlichen Nachricht hätten verglichen und gegebenenfalls berichtigt werden können. Er versuchte erst gar nicht, bereits eingetragene Fristen zu überprüfen, sondern notierte diese erstmalig auf der hinteren Aktendecke.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerden war dieses Versäumnis kausal für die Fristversäumung. Hätte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten Vorkehrungen dafür getroffen, dass das hypothetische Ende der beantragten Fristverlängerung bei oder alsbald nach Einreichung des Verlängerungsantrags im Fristenkalender eingetragen wird, so hätte er nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten die Berufungsbegründungsfrist gewahrt (vgl. zur Kausalität BGH, Beschluss vom 29. Mai 1974 - IV ZB 6/74 - VersR 1974, 1001, 1002; Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 233 Rn. 22). Denn dann wäre bei der gebotenen Überprüfung der Fristen anlässlich des Eingangs der gerichtlichen Fristverlängerungsmitteilung am 28. September 2009 (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. April 1997 - IX ZB 29/97 - NJW 1997, 1860; vom 14. Juni 2007 - I ZB 5/06 - aaO) aufgefallen, dass entgegen den getroffenen organisatorischen Maßnahmen und trotz des Verstreichens der ursprünglichen Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender noch keine neue, wenn auch nur als vorläufig gekennzeichnete, Berufungsbegründungsfrist eingetragen war. Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge wäre die fehlende Eintragung dann nachgeholt und die Akte dem Prozessbevollmächtigten rechtzeitig zur Anfertigung der Berufungsbegründungsfrist vorgelegt worden.

bb) Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat darüber hinaus gegen seine Verpflichtung verstoßen sicherzustellen, dass die zur wirksamen Fristenkontrolle erforderlichen Handlungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt und im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang vorgenommen werden. Aus dem Beschwerdevorbringen, der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags und der hierzu vorgelegten eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten P. ergibt sich, dass es ständiger Übung in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Beklagten entsprach, gerichtliche Mitteilungen über Rechtsmittelfristverlängerungen zunächst im Umlaufverfahren allen anwesenden Sozien vorzulegen und sie erst nachträglich an den für die Eintragung der Frist im Kalender zuständigen Bürovorsteher weiterzuleiten. Diese mit Wissen und im Einverständnis des Prozessbevollmächtigten der Beklagten übliche Handhabung barg das Risiko einer Fristversäumung in sich. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, wurde durch die Weiterleitung des Schriftstücks an mit der Fristenkontrolle nicht befasste Personen die Gefahr erhöht, dass die (rechtzeitige) Fristeintragung infolge von Fehlern oder Irrtümern unterbleibt, beispielsweise wenn sich die Rückgabe des Schriftstücks von den Anwälten an das Büropersonal verzögert oder die für die Sache zuständige Rechtsanwaltsfachangestellte unerwartet ausfällt.

Die durch die aufgezeigten Versäumnisse geschaffene Gefahr einer Fristversäumung hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten dadurch verstärkt, dass er vor der Fristberechnung und -notierung verfügte, die Beklagten und deren Haftpflichtversicherung von der Fristverlängerung zu informieren. Hierdurch sowie durch die anschließende Ausfertigung der Verfügung durch die Angestellte B. konnte für die die Sache sodann bearbeitende Angestellte P. der Eindruck entstehen, die erforderlichen Maßnahmen zur Fristenkontrolle seien bereits erfolgt. Eine weitere Gefahrerhöhung trat dadurch ein, dass der Prozessbevollmächtigte zusätzlich zu der - erst im Anschluss an die Ausführung seiner Verfügung vom 28. September 2009 erfolgten - Berechnung und Notierung der neuen Berufungsbegründungsfrist auf der Innenseite des hinteren Aktendeckels und ohne jeden Hinweis hierauf auf der gerichtlichen Mitteilung verfügte, diese zu den Akten zu nehmen. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, konnte hierdurch der Eindruck entstehen, die Bearbeitung des Schreibens sei abgeschlossen und weitere Maßnahmen seien nicht erforderlich.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerden waren diese Versäumnisse auch kausal für die Fristversäumung. Hätte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Berufungsbegründungsfrist unmittelbar nach Eingang der gerichtlichen Verlängerungsmitteilung berechnet, notiert und das Schreiben unverzüglich seiner Angestellten zur Fristeintragung weitergeleitet, wäre nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge die fehlende Eintragung des Fristendes nachgeholt und die Akte dem Prozessbevollmächtigten rechtzeitig zur Anfertigung der Berufungsbegründung vorgelegt worden.

c) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerden sind die aufgezeigten Versäumnisse auch nicht nach den vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätzen zum Verschulden eines Prozessbevollmächtigten bei Vorliegen einer konkreten Einzelanweisung unerheblich. Danach kommt es auf die allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen einer Kanzlei für die Fristwahrung nicht entscheidend an, wenn der Anwalt von ihnen abweicht und stattdessen eine klare und präzise Anweisung für den konkreten Fall erteilt, deren Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätte (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Februar 2003 - VI ZB 38/02 - NJW-RR 2003, 935 m.w.N.; BGH, Beschlüsse vom 26. September 1995 - XI ZB 13/95 - NJW 1996, 130; vom 29. Juli 2004 - III ZB 27/04 - BGH-Report 2005, 44, 45 f.; vom 6. Dezember 2007 - V ZB 91/07 - JurBüro 2008, 280; vom 25. Juli 2009 - V ZB 191/08 - NJW 2009, 3036). Da ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass die einem zuverlässigen Mitarbeiter erteilte Einzelanweisung befolgt wird, ist für eine Fristversäumung dann nicht die Büroorganisation, sondern der Fehler des Mitarbeiters ursächlich (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juli 2009 - V ZB 191/08 - aaO).

Diese Grundsätze verhelfen den Rechtsbeschwerden schon deshalb nicht zum Erfolg, weil das Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten vorliegend nicht lediglich in einer unzureichenden Organisation des Fristenwesens in seiner Kanzlei, sondern auch darin liegt, dass er durch konkrete Einzelanweisungen auf dem gerichtlichen Verlängerungsschreiben zusätzliche Fehlerquellen eröffnet hat. Abgesehen davon fehlt es an einer konkreten Einzelanweisung im oben genannten Sinne. Die bloße Notierung der Rechtsmittelfrist auf der Innenseite des hinteren Aktendeckels stellt keine auf den Einzelfall bezogene Handlungsanweisung dar, auf deren Befolgung der Prozessbevollmächtigte der Beklagten unabhängig von der allgemeinen Kanzleiorganisation vertrauen durfte. Sie vermochte eine wirksame Fristenkontrolle nur in Verbindung mit der allgemeinen Anweisung zu bewirken, auf der Innenseite des hinteren Aktendeckels vermerkte Fristen vom Bürovorsteher in den Fristenkalender eintragen zu lassen. Die Einhaltung dieser allgemeinen Anweisung hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten aber dadurch in Frage gestellt, dass er durch konkrete Einzelanweisungen dazu, was mit der gerichtlichen Verlängerungsmitteilung zu geschehen habe, von den auf der Innenseite des hinteren Aktendeckels notierten Fristen abgelenkt hat.

d) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerden hat das Berufungsgericht auch nicht den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 GG verletzt. Das Berufungsgericht hat den Vortrag der Beklagten, wonach der Bürovorsteher die Eintragung einer Frist in den Fristenkalender handschriftlich durch ein "F" bestätige, dadurch für die Anwaltssekretärin geklärt sei, dass die Akte in die Fristenkontrolle des Bürovorstehers übernommen worden sei, und diese, wenn keine anderen Verfügungen getroffen worden seien, in der Registratur abgehängt werden könne, ersichtlich zur Kenntnis genommen. Abgesehen davon ist dieser Vortrag auch unerheblich. Ihm sind keine organisatorischen Vorkehrungen zu entnehmen, die geeignet wären, einen Fehler, wie er hier aufgetreten ist, zu vermeiden.


Galke Wellner Pauge
Stöhr v. Pentz

Vorinstanzen

LG Darmstadt, 07.07.2009, 1 O 137/08; OLG Frankfurt in Darmstadt, 13 U 181/09, 01.12.2009

Rechtsgebiete

Anwalts-, Notar-, Steuerberater- und anderes Berufsrecht

Normen

ZPO §§ 85 Abs. 2, 233 Fb, Fc