Arbeitsbereitschaft durch genaue Zeitvorgabe

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

19. 12. 1991


Aktenzeichen

6 AZR 592/89


Leitsatz des Gerichts

Arbeitsbereitschaft i. S. des § 67 Nr. 10 S. 1 BMT-G II liegt auch dann vor, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer, ohne dessen Aufenthaltsstelle konkret zu bestimmen, dadurch in der freien Wahl des Aufenthaltsortes beschränkt, daß er die Zeit zwischen Abruf und Aufnahme der Arbeit genau vorgibt.

Tatbestand


Auszüge aus Sachverhalt:

Die Parteien streiten darüber, ob der Bekl. Rufbereitschaft oder Arbeitsbereitschaft angeordnet hatte. Der Kl. ist bei dem bekl. Landkreis als Krankenwagenfahrer im Rettungsdienst tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) Anwendung. Einsatzort des Kl. ist das Kreiskrankenhaus in S., das von seiner Wohnung ca. 2,5 km entfernt liegt. Von dort kann er das Krankenhaus innerhalb von 10 Minuten erreichen, wenn er die erforderliche Dienstkleidung trägt. Wenn er sich erst ankleiden muß, benötigt er 12 bis 15 Minuten zur Einsatzstelle. Neben seiner regelmäßigen Arbeitszeit leistet der Kl. Arbeitsbereitschaft in den Räumen des Krankenhauses. Bei Rufbereitschaft hält sich der Kl. regelmäßig in seiner Wohnung auf. Mit Schreiben vom 5. 12. 1986 wurde folgende Anordnung getroffen:

Betr.: Rettungsdienst/Krankentransport: hier: Zeitvorgabe im Rahmen des Rufbereitschaftsdienstes.

Sehr geehrte Herren! Aufgrund bestehender Unsicherheiten über die arbeitgeberseitigen Vorstellungen hinsichtlich tolerierbarer Anfahrtszeiten während der Rufbereitschaft, hat der Vorstand des Rettungsdienst/Krankentransportes anläßlich seiner Sitzung am 3. 12. 1986 folgenden Beschluß gefaßt: Im Rahmen des Rufbereitschaftsdienstes kann der jeweilige Aufenthaltsort vom Arbeitnehmer frei bestimmt werden. Dabei ist jedoch von ihm sicherzustellen, daß er jederzeit von der Funkleitstelle oder der Rettungswache über Telefon oder Alarmempfänger (je nach rettungswachenspezifischer Gepflogenheit) erreichbar ist und innerhalb von 10 Minuten seinen Dienst in der Rettungswache aufnehmen kann. Diese Erreichbarkeits- und Zeitvorgabe ist strikt einzuhalten.

Der Kl. sieht in dieser Zeitvorgabe eine so starke Einschränkung der eigenen freien Bestimmung seines Aufenthaltsortes, daß diese Zeiten nicht mehr als Rufbereitschaft, sondern wie Arbeitsbereitschaft zu bewerten und zu vergüten seien. Deshalb begehrt der Kl. für den Zeitraum vom 23. 12. 1986 bis 22. 2. 1987 den Differenzbetrag von 4,74 DM brutto pro Stunde für 250 als Rufbereitschaft vergütete Stunden zur Vergütung als Arbeitsbereitschaft.

Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat der Klage stattgegeben. Die Revision blieb erfolglos.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Das LAG hat angenommen, der Bekl. habe keine Rufbereitschaft, sondern Arbeitsbereitschaft angeordnet. Der Aufenthaltsort des Kl. sei durch die strikte Zeitvorgabe von 10 Minuten bestimmt worden. Der Kl. habe sich in Dienstkleidung in seiner Wohnung aufhalten müssen, um innerhalb von 10 Minuten seine Arbeitsstelle zu erreichen. Durch diese zeitliche Aufenthaltsbeschränkung werde der Kl. so in der freien Wahl des Aufenthaltsortes beeinträchtigt, daß ein Fall von Arbeitsbereitschaft vorliege. Diese Ausführungen des LAG sind im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

II. Der Zahlungsanspruch des Kl. ist gem. § 16 I i. V. mit § 67 Nr. 10 S. 1 BMT-G II begründet. Der Bekl. hat durch die Anordnung, innerhalb von 10 Minuten den Dienst im Krankenhaus aufnehmen zu müssen, für den Kl. Arbeitsbereitschaft angeordnet. Dies ergibt die Auslegung dieser Tarifnorm.

1. § 16 BMT-G II regelt die Arbeitsbereitschaft und die Rufbereitschaft und deren Vergütung. Die Begriffe Arbeitsbereitschaft und Rufbereitschaft werden in dieser Vorschrift nicht definiert, so daß die Begriffsbestimmungen des § 67 BMT-G II gelten. Gem. § 67 Nr. 10 S. 1 BMT-G II liegt Arbeitsbereitschaft vor, wenn sich der Arbeiter, ohne Arbeit zu leisten, am Arbeitsplatz oder an einer anderen vom Arbeitgeber bestimmten Stelle zur Verfügung zu halten hat. Nach § 67 Nr. 32 BMT-G II liegt Rufbereitschaft vor, wenn sich der Arbeiter auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer dem Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle aufzuhalten hat, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen. Danach unterscheiden sich Ruf- und Arbeitsbereitschaft durch unterschiedliche Bestimmung des Aufenthaltsortes. Bei der Rufbereitschaft bestimmt der Arbeitnehmer, bei der Arbeitsbereitschaft der Arbeitgeber den Aufenthaltsort. Im vorliegenden Fall ist die Bestimmung des Aufenthaltsortes durch den Bekl. erfolgt. Der Bekl. geht in seiner Anordnung davon aus, daß der Arbeitnehmer den jeweiligen Aufenthaltsort frei bestimmen kann, sofern er über Telefon oder Alarmempfänger erreichbar ist. Dies spricht für die Anordnung von Rufbereitschaft. Doch wird diese Bestimmung des Aufenthaltsortes für den Arbeitnehmer insofern eingeschränkt, als der Ort nur soweit von der Arbeitsstelle entfernt liegen darf, daß der Arbeitnehmer innerhalb von 10 Minuten seinen Dienst im Krankenhaus aufnehmen kann. Durch diese genau bestimmte Beschränkung der Wegezeit zwischen Aufenthaltsort und der Aufnahme der Arbeit kann der Arbeitnehmer nicht mehr frei den Aufenthaltsort bestimmen. Vielmehr legt der Bekl. bindend die Bestimmung des Aufenthaltsortes durch den Faktor Zeit fest. Da diese Zeitvorgabe darüber hinaus strikt einzuhalten ist, erfolgt eine Beschränkung auf die Aufenthaltsorte, die im Umkreis von höchstens 10 Minuten Entfernung zum Krankenhaus liegen.

Im konkreten Fall bedeutet dies, daß der Kl. sich entweder am Arbeitsplatz oder aber in Dienstkleidung in seiner Wohnung aufhalten muß, um seine vertragliche Leistungspflicht erfüllen zu können. Das LAG hat insoweit für die Revisionsinstanz bindend festgestellt, daß der Kl. nicht unvorbereitet von seiner Wohnung aus die Arbeitsstelle in 10 Minuten erreichen kann, sondern 12 bis 15 Minuten bis zur Einsatzstelle benötigt. Damit wird der Aufenthalt des Kl. aber durch die Beschränkung der Wegezeit auf eine vom Bekl. bestimmte Stelle festgelegt. Dem Kl. wird dadurch die Gestaltung seiner an sich arbeitsfreien Zeit entzogen. Somit liegt im vorliegenden Fall Arbeitsbereitschaft vor. Dem steht auch nicht entgegen, daß sich der Kl. in der Wohnung zur Verfügung hält. Denn die Arbeitsbereitschaft kann auch in der Wohnung erfolgen (BAGE 5, 236).

2. Rufbereitschaft und Arbeitsbereitschaft unterscheiden sich darüber hinaus hinsichtlich der Bemessung der Wegezeiten zwischen Aufenthaltsort und Arbeitsstelle. Bei Rufbereitschaft kann sich der Arbeitnehmer an einer beliebigen Stelle aufhalten. Allerdings ist er in der Wahl seines Aufenthaltsortes nicht völlig frei. Zwischen dem Abruf und der Arbeitsaufnahme darf nur eine solche Zeitspanne liegen, daß hierdurch der Einsatz nicht gefährdet und im Bedarfsfall die Arbeitsaufnahme gewährleistet ist (vgl. BAG, AP § 611 BGB - Arbeitsbereitschaft - Nr. 1; BAG, AP § 30 MTBII Nr. 1). Der Arbeitnehmer muß bei Abruf seine Arbeit alsbald aufnehmen können (BAGE 21, 348). Dies bedeutet, daß sich der Aufenthaltsort des Arbeitnehmers noch in einer Entfernung von der Arbeitsstelle befinden muß, die es ihm gestattet, diese in angemessen kurzer Zeit zu erreichen. Der Arbeitnehmer darf sich hingegen nicht in einer Entfernung vom Arbeitsort aufhalten, die dem Zweck der Rufbereitschaft zuwiderläuft (BAG, AP § 611 BGB - Arbeitsbereitschaft - Nr. 2; BAG, AP § 30 MTBII Nr. 1).

Bei der Arbeitsbereitschaft als einem Fall des Bereitschaftsdienstes liegt dagegen eine Aufenthaltsbeschränkung vor, verbunden mit der Verpflichtung, bei Bedarf sofort tätig zu werden (BAG, AP § 17 BAT Nr. 12). Die Arbeitsbereitschaft ist damit ihrem Wesen nach eine Aufenthaltsbeschränkung, bei der der Arbeitnehmer bereit sein muß, aus dem Zustand der wachen Aufmerksamkeit zur Arbeit gerufen zu werden (vgl. BAGE 18, 256; BAGE 18, 273; BAG, AP § 18 MTLII Nr. 1; BAG, AP § 35 BAT Nr. 2; BAGE 51, 131 (137 f.)).

Auch dieser rechtliche Unterschied zwischen Ruf- und Arbeitsbereitschaft zeigt, daß im vorliegenden Fall durch die genau bestimmte Einhaltung der Wegezeit von 10 Minuten Arbeitsbereitschaft angeordnet wurde. Der Kl. unterlag, wie aufgezeigt, einer Aufenthaltsbeschränkung. Darüber hinaus mußte der Kl. in seiner Wohnung stets in Dienstkleidung bereit sein, wenn er sofort die Tätigkeit am Arbeitsplatz aufnehmen wollte. Damit konnte der Kl. sich nicht in einer Entfernung vom Arbeitsplatz aufhalten, die es ihm ermöglichte "in angemessener Zeit" den Arbeitsplatz zu erreichen. Bei diesem Eingriff in die Freizeit hat der Bekl. keine Rufbereitschaft, sondern Arbeitsbereitschaft für den Kl. angeordnet.

Vorinstanzen

LAG Niedersachsen, 4 Sa 892/89, 27.09.1989

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht