Kündigung - mangelnde Eignung gemäß Einigungsvertrag

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

26. 08. 1993


Aktenzeichen

8 AZR 561/92


Leitsatz des Gerichts

  1. Wer aufgrund eines freien Willensentschlusses und ohne entschuldigenden Zwang eine Erklärung unterzeichnet hat, künftig für das Ministerium für Staatssicherheit als inoffizieller Mitarbeiter tätig zu werden, begründet erhebliche Zweifel an seiner persönlichen Eignung für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst.

  2. Zur Überprüfung der Eignungsvoraussetzungen nach dem Einigungsvertrag ist der Arbeitgeber zur Frage berechtigt, ob der Arbeitnehmer für das Ministerium für Staatssicherheit tätig war und ob er eine Verpflichtungserklärung unterzeichnet hat.

  3. Wer wahrheitswidrig versichert, keine Verpflichtungserklärung gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit abgegeben zu haben, ist in der Regel ungeeignet für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung sowie über Lohnansprüche des Kl. aus Annahmeverzug. Der 1933 geborene Kl. ist seit 1960 an der Klinik für Augenkrankheiten der Universität L., einer Einrichtung des Bekl., als Optiker und Leiter der Abteilung "Kontaktlinsen" beschäftigt. Im Januar 1991 versicherte der Kl. in einer ihm vorgelegten, vorformulierten Erklärung, zu keiner Zeit hauptamtlicher oder inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) gewesen zu sein und weder eine Verpflichtungserklärung unterschrieben, noch materielle Zuwendungen erhalten zu haben. Am Ende des vorformulierten Textes setzte der Kl. handschriftlich hinzu: Ich versichere, daß die Angaben der Wahrheit entsprechen. Im Sommer 1991 teilte der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für die personenbezogenen Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes (Gauck-Behörde) hinsichtlich des Kl. dem Bekl. mit: "Die Überprüfungen haben folgendes ergeben: Herr T ist in den Unterlagen des ehemaligen MfS/AfNS als IMS (Inoffizieller Mitarbeiter für Sicherheit) mit dem Decknamen "H" in der Bezirksverwaltung Leipzig, Abt.XX, erfaßt. Der IM-Vorlauf wurde am 14. 6. 1989 abgeschlossen und Herr T als IMS erfaßt. Sein Führungsoffizier war L. Folgende Unterlagen wurden vom ehemaligen MfS zu Herrn T angelegt: 1 Band Personalakte (Teil I) und 1 Band Arbeitsakte (Teil II). Als Abteilungsleiter der Augenklinik der KMU wurde der IMS als Reisekader für das NSW (Nichtsozialistische Ausland) genutzt. Nähere Auskünfte kann ich Ihnen nicht erteilen, da die Akten z.Z. nicht zur Verfügung stehen."

Auf einen entsprechenden Vorhalt räumte der Kl. sodann gegenüber dem Bekl. die Unterzeichnung der Verpflichtungserklärung ein. Der Bekl. kündigte daraufhin mit dem am 30. 9. 1991 zugegangenen Schreiben das mit dem Kl. bestehende Arbeitsverhältnis zum 31. 12. 1991.

Das KreisG hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Das LAG hat die Berufung des Bekl. zurückgewiesen und den Bekl. zur beantragten Zahlung verurteilt. Die Revision des Bekl. hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Revision des Bekl. ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückzuverweisen.

A. Das LAG hat ausgeführt, eine Tätigkeit für das MfS i.S. von Art. 20, Anl. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Nr. 2 EinigungsV (fortan Abs. 5 Nr. 2 EinigungsV) liege nicht vor. Die bloße Unterzeichnung der Verpflichtungserklärung durch den Kl. reiche nicht aus.

Die Kündigung sei außerdem weder wegen mangelnder persönlicher Eignung i.S. des Art. 20, Anl. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Nr. 1 EinigungsV (fortan: Abs. 4 Nr. 1 EinigungsV) noch aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen i.S. des § 1 KSchG gerechtfertigt. Die durch die Unterzeichnung der Verpflichtungserklärung dokumentierte Bereitschaft, für das MfS zu arbeiten, rechtfertige unter Berücksichtigung der vom Kl. behaupteten und vom Bekl. nicht widerlegten Pressionen nicht die Annahme mangelnder persönlicher Eignung. Dem Kl. sei anzulasten, daß er anläßlich seiner zulässigen Befragung nach der Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung rechtswidrig die Unwahrheit gesagt habe. Zugunsten des Kl. spreche jedoch sein Lebensalter, die lange Beschäftigungsdauer und die schlechten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Seine unwahren Angaben seien daher als Notlüge zu qualifizieren.

B. Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

I. Die Klage ist hinsichtlich aller Anträge zulässig. Dem Antrag festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis unverändert fortbestehe, fehlt nicht das erforderliche Feststellungsinteresse, denn der Bekl. hat sich im Berufungsverfahren zusätzlich auf den Beendigungstatbestand der Anfechtung berufen.

II. 1. Das BerGer. hat sich mit der von der Bekl. erklärten Anfechtung nicht befaßt. Sie ist ohne rechtliche Wirkung. Gemäß Nr. 1 Abs. 1 EinigungsV sind mit der Überführung der Einrichtung, in der der Kl. beschäftigt war, die Arbeitsverhältnisse kraft Gesetzes übergegangen (vgl. Senatsurteile, AP Nrn. 1 und 2 zu Art. 13 EinigungsV, auch zur Veröffentl. in der Amtl. Slg. vorgesehen). Es ist daher nicht ersichtlich, welche Willenserklärung der Bekl. hätte anfechten können.

2. Es ist weder aufgrund des Vortrages der Parteien noch nach den vorgelegten Urkunden ersichtlich, ob der Bekl. eine ordentliche Kündigung oder eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist ausgesprochen hat. Die Frage der Kündigungsart kann letztlich dahinstehen. Der Bekl. stützt die Kündigung auf eine angebliche Tätigkeit des Kl. für das MfS. In einem solchen Fall müssen die Voraussetzungen des Abs. 5 Nr. 2 geprüft werden. Die Anforderung, die an die Voraussetzungen nach Abs. 5 Nr. 2 zu stellen ist, wäre nicht geringer, wenn der Kl. wegen der behaupteten Tätigkeit eine auf Abs. 4 Nr. 1 gestützte Kündigung wegen mangelnder persönlicher Eignung hätte aussprechen wollen.

3. Die Ausführungen des LAG, die Voraussetzungen des Abs. 5 Nr. 2 EinigungsV seien nicht erfüllt, sind ohne Rechtsfehler.

Nach Abs. 5 Nr. 2 EinigungsV ist ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung insbesondere gegeben, wenn der Arbeitnehmer für das frühere MfS/AfNS tätig war und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Abs. 5 Nr. 2 EinigungsV unterscheidet nach seinem Wortlaut nicht zwischen hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern der Staatssicherheit. Auch für inoffizielle Mitarbeiter gilt, daß nur eine bewußte, finale Mitarbeit die Kündigung rechtfertigen kann. Das folgt aus der Verwendung der Präposition "für" anstelle der näherliegenden "beim" in Abs. 5 Nr. 2 EinigungsV (vgl. Senat, AP Nr. 1 zu Einigungsvertrag Anl. I Kap. XIX, auch zur Veröff. in der Amtl. Slg. vorgesehen).

Die bloße Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung durch den Arbeitnehmer stellt allein noch keine Tätigkeit für das MfS dar (im Ergebnis ebenso Säcker/Oetker, in: MünchKomm, 2. Aufl., Ergbd., Einigungsvertrag Rdnr. 1018; Scholz, BB 1991, 2515 (2520); vgl. auch Weiß, PersV 1991, 97 (119f.)). Ob der Kl. für das MfS tätig war, ist zwischen den Parteien streitig geblieben. Beweis hierfür hat der Bekl. nicht erbracht. Dem Kündigenden obliegt die volle Beweislast, daß der Arbeitnehmer für das MfS gearbeitet hat. Gründe für eine Umkehr der Beweislast sind nicht ersichtlich. Der Bekl. kann sich auch nicht auf die Beweiserleichterung des Anscheinsbeweises berufen. Der Anscheinsbeweis greift nur bei typischen Geschehensabläufen ein. Einen typischen Geschehensablauf hat der Bekl. nicht dargelegt. Aus der Abgabe einer Verpflichtungserklärung gegenüber dem MfS kann jedenfalls nicht nach allgemeiner Lebenserfahrung auf ein entsprechendes späteres Tätigwerden des Erklärenden geschlossen werden. Zulässige Revisionsrügen, daß Beweisangebote übergangen worden sind, sind nicht erhoben worden.

4. Die Ausführungen des LAG, die Voraussetzungen des Abs. 4 Nr. 1, 2. Alt. EinigungsV seien nicht erfüllt, sind rechtsfehlerhaft.

a) Abs. 4 Nr. 1 EinigungsV stellt eine eigenständige Regelung der ordentlichen Kündigung dar. Er ersetzt in seinem Regelungsbereich § 1 KSchG. Die mangelnde persönliche Eignung ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft. Eine grobe Unehrlichkeit in einem für die Vertragsbeziehungen wichtigen Bereich werden regelmäßig den Schluß zulassen, daß der Arbeitnehmer für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst ungeeignet ist. Durch ein solches Tun kann die notwendige Vertrauensbasis völlig zerstört werden.

b) Der Regelung in Abs. 4 liegt die Tatsachenlage zugrunde, daß Arbeitnehmer - von einem anderen, früheren Arbeitgeber - eingestellt worden sind, mit denen der jetzige, zu rechtsstaatlichem Handeln verpflichtete Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag nicht nur nicht geschlossen hätte, weil er sie fachlich für nicht geeignet hält, sondern weil er auch an ihrer persönlichen Eignung berechtigte Zweifel hat. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung i.S. des Grundgesetzes bekennt. Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Auch in diesen Fällen ist eine Einzelfallprüfung erforderlich.

c) Wer aufgrund eines freien Willensentschlusses und ohne entschuldigenden Zwang eine Erklärung unterzeichnet hat, künftig für das MfS als inoffizieller Mitarbeiter tätig zu werden, begründet erhebliche Zweifel an seiner persönlichen Eignung für eine Tätigkeit innerhalb des öffentlichen Dienstes. Das MfS bildete den eigentlichen Repressionsapparat des SED-Staates. Diesem Umstand hat der Gesetzgeber in Abs. 5 Rechnung getragen. Hätte der Kl. sich freiwillig dem Unterdrückungsapparat des MfS zur Verfügung gestellt, rechtfertigte dies die Annahme seiner mangelnden persönlichen Eignung; denn er war als Arbeitnehmer einer (auch) mit Bildungsaufgaben betrauten Einrichtung (Universitätsklinik) und in nicht bloß untergeordneter Stellung tätig, er war Abteilungsleiter.

d) Die zur Feststellung der persönlichen Eignung vorzunehmende Einzelfallprüfung ist keine Interessenabwägung, bei der die Dauer der Beschäftigung und Unterhaltspflichten eine Rolle spielen könnten. Das Berufungsurteil läßt nicht erkennen, daß eine Einzelfallprüfung überhaupt stattgefunden hat. Es fehlt in diesem Zusammenhang zudem an hinreichenden Tatsachenfeststellungen. Bei der Einzelfallprüfung wird das LAG zu berücksichtigen haben, daß ein etwaiges Untätigbleiben des Kl. nach der Unterzeichnung der Verpflichtungserklärung nicht ohne weiteres eine Entlastungstatsache darstellt. Es könnte seine Ursache allein in dem für den Kl. zufälligen Umstand des wenig später erfolgten Umbruchs oder in anderen, für ihn nicht beeinflußbaren Gegebenheiten gehabt haben.

5. Das LAG wird auch erneut zu prüfen haben, ob der Kl. nicht bereits deshalb persönlich ungeeignet i.S. von Abs. 4 Nr. 1 EinigungsV ist, weil er bei seiner Befragung wahrheitswidrig erklärt hat, er habe keine Verpflichtungserklärung für das MfS unterzeichnet, und das Formular noch handschriftlich ergänzt hat, seine Angaben entsprächen der Wahrheit.

Das BerGer. hat zu Recht angenommen, daß die Frage zulässig war. Die Frage nach Beziehungen zum MfS stand im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis und diente auch dem Kl. erkennbar, wie das LAG zutreffend festgestellt hat, dem Zweck, ungeeigneten Personen i.S. des Abs. 4 und 5 EinigungsV zu kündigen. Mit dem Wirksamwerden des Beitritts verpflichtet Art. 33 II GG die neuen Träger öffentlicher Verwaltung als juristische Personen des öffentlichen Rechts auch im Hinblick auf die gem. Art. 20 I EinigungsV kraft Gesetzes übergegangenen Arbeitsverhältnisse. Zur Eignung eines Arbeitnehmers im öffentlichen Dienst gehört das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Ein Arbeitnehmer, der sich in der Vergangenheit besonders mit den Zielsetzungen der SED identifiziert hat, erweckt allein deshalb Zweifel an der Verfassungstreue (vgl. Senat, Urt. v. 18. 3. 1993 - 8 AZR 356/92). Der Einigungsvertrag erfordert die Prüfung der früheren Stellung des Arbeitnehmers, da Abs. 4 Nr. 1, 2. Alt. EinigungsV auf die mangelnde persönliche Eignung abstellt. Entsprechendes gilt für Abs. 5 EinigungsV. Da in Abs. 5 EinigungsV die Zumutbarkeit und in Abs. 4 EinigungsV generell die persönliche Eignung aufgeführt sind, hat der öffentliche Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran, alle zu dieser Aufklärung erheblichen Fragen im Rahmen der übernommenen Arbeitsverhältnisse zu stellen. Das bestätigt der Einigungsvertrag indirekt in Anl. I Kap. II Sachgeb. B Abschn. II Nr. 2b § 2 I 3 Nr. 2, wenn es heißt, daß personenbezogene Daten zur Feststellung einer offiziellen oder inoffiziellen Tätigkeit für das ehemalige MfS/AfNS und zwar für die Weiterverwendung von Personen im öffentlichen Dienst mit deren Kenntnis übermittelt werden dürfen. Das Interesse des Bekl. an der wahrheitsgemäßen Beantwortung der Frage nach der Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung wiegt schwerer als das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Kl. Die Ausübung des Fragerechts dient letztlich der Bereinigung des übernommenen öffentlichen Dienstes von vorbelastetem Personal und damit der Schaffung einer leistungsfähigen öffentlichen Verwaltung, einem überragend wichtigen Gemeinschaftsgut. Der Kl. hat durch die wahrheitswidrige Versicherung, keine Verpflichtungserklärung gegenüber dem MfS abgegeben zu haben, an sich offenbart, daß er ungeeignet ist für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst. Das BerGer. wird allerdings die näheren Umstände zu prüfen haben, unter denen der Kl. die Erklärung abgegeben hat. Es wird hierbei entscheidend darauf ankommen, ob der Kl. genügend Bedenkzeit zur Unterzeichnung hatte oder ob er in einer Art Kurzschlußreaktion gehandelt hat. Die vom LAG vorgenommene Qualifizierung seines Tuns als "Notlüge" findet in den tatsächlichen Feststellungen des Urteils keinen Niederschlag. Es sind keine Umstände festgestellt, daß der Kl. in einer Notsituation gehandelt haben könnte. Gerade wenn der Kl. nur die Verpflichtungserklärung unterzeichnet hat und im übrigen für das MfS nicht tätig war, hätte es nahegelegen, daß er sich voll offenbart.

6. Durch die wahrheitswidrige Erklärung vom 7. 1. 1991 hat der Kl. zudem schuldhaft eine vertragliche Nebenpflicht verletzt. Ob dies außerdem eine verhaltensbedingte Kündigung nach § 1 KSchG rechtfertigt, wird davon abhängen, wie sich die Umstände der Unterzeichnung gestalteten. Daß das BerGer. im Rahmen dieser Prüfung der individuellen Schuld des Kl. nachgegangen ist, ist rechtlich zutreffend.

Vorinstanzen

LAG Chemnitz, Sa 93/92 L, 26.08.1992

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht