BVerfG: Verfassungsbeschwerde von Prinzessin Caroline von Monaco nur teilweise erfolgreich

Gericht

BVerfG


Art der Entscheidung

Pressemitteilung


Datum

15. 12. 1999


Aktenzeichen

1 BvR 653/96


Leitsatz des Gerichts

  1. Die von dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Privatsphäre ist nicht auf den häuslichen Bereich beschränkt. Der Einzelne muß grundsätzlich die Möglichkeit haben, sich auch an anderen, erkennbar abgeschiedenen Orten von Bildberichterstattung unbehelligt zu bewegen.

  2. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nicht im Interesse einer Kommerzialisierung der eigenen Person gewährleistet. Der Schutz der Privatsphäre vor Abbildungen tritt zurück, soweit sich jemand selbst damit einverstanden zeigt, daß bestimmte, gewöhnlich als privat angesehene Angelegenheiten öffentlich gemacht werden.

  3. Der Schutzgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts von Eltern oder Elternteilen erfährt eine Verstärkung durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, soweit es um die Veröffentlichung von Abbildungen geht, die die spezifisch elterliche Hinwendung zu den Kindern zum Gegenstand haben.

  4. Die in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltene Gewährleistung der Pressefreiheit umfaßt auch unterhaltende Publikationen und Beiträge sowie deren Bebilderung. Das gilt grundsätzlich auch für die Veröffentlichung von Bildern, die Personen des öffentlichen Lebens in alltäglichen oder privaten Zusammenhängen zeigen.

Entscheidungsgründe

Der Erste Senat des BVerfG hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 9. November 1999 entschieden:

Soweit es um drei Bilder in der Illustrierten "Bunte" geht, die die Beschwerdeführerin (Bf) mit ihren Kindern zeigen, hat die Verfassungsbeschwerde (Vb) Erfolg. Insoweit hat der Bundesgerichtshof (BGH) den das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) verstärkenden Einfluß von Art. 6 GG (Schutz der Familie, Elternrecht) nicht berücksichtigt.

In diesem Umfang wird das Verfahren zur erneuten Entscheidung an den BGH zurückverwiesen.

Hinsichtlich der weiteren fünf Fotos wird die Vb zurückgewiesen.


I.

Die Vb betrifft die Veröffentlichung von Fotografien aus dem Alltags- und Privatleben Prominenter.

In der von der Burda GmbH verlegten Zeitschrift "Bunte" erschienen im August 1993 u.a. folgende Fotos:

Ein Foto der Pf mit zweien ihrer Kinder.
Die Bilder wurden zur besseren Veranschaulichung des Streitgegenstands von der Kanzlei hinzugefügt.
Ein Foto der Pf zusammen mit ihrer Tochter in einem Paddelboot.

Ein Foto der Bf zusammen mit ihrem Sohn Pierre und weiteren Personen.

Ein Foto der Bf auf einem Pferd reitend.

Ein Foto zeigt die Bf mit umgehängter Korbtasche beim Gang auf den Markt.

Ein Foto der Pf in einem Gasthaus zusammen mit weiteren Personen.

Ein Foto bildet die Bf allein auf einem Feldweg radfahrend ab.

Das letzte Foto zeigt die Pf zusammen mit einer Begleiterin auf dem Markt.

Die Bf erhob Klage auf Unterlassung der Veröffentlichung u.a. dieser Fotos. In letzter Instanz wies der BGH die Klage rechtskräftig ab (Urteil vom 19. Dezember 1995). Zur Begründung heißt es u.a., die Bilder berührten die Pf nicht in ihrer geschützten Privatsphäre. Die Fotos seien an jedermann zugänglichen Orten der Öffentlichkeit aufgenommen worden. Die Bf habe sich in diesen Fällen in die Öffentlichkeit begeben und sei damit ein Teil der Öffentlichkeit geworden.

Mit ihrer Vb rügte die Pf eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, insbesondere des Rechts am eigenen Bild und des Rechts auf Achtung der Privatsphäre.


II.

Der Erste Senat hat der Pf recht gegeben, soweit sich die Klage auf die drei Bilder bezog, die sie mit ihren Kindern zeigen. Im übrigen ist die Vb unbegründet.

Zur Begründung heißt es u.a.

Verfassungsrechtlicher Maßstab

Die Befugnis zur Veröffentlichung von Fotografien, die Personen in privaten oder alltäglichen Zusammenhängen abbilden, bemißt sich nach dem Recht am eigenen Bild und der Garantie der Privatsphäre, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht konkretisieren.

a) Hinsichtlich des Rechts am eigenen Bild kommt es nicht darauf an, ob Fotografien den Einzelnen in privaten oder öffentlichen Zusammenhängen zeigen. Das Schutzbedürfnis ergibt sich vielmehr insbesondere aus der Möglichkeit, das Erscheinungsbild eines Menschen in einer bestimmten Situation von diesem abzulösen, datenmäßig zu fixieren und jederzeit vor einem unüberschaubaren Personenkreis zu reproduzieren. Diese Möglichkeit ist durch den Fortschritt der Aufnahmetechnik, der Abbildungen auch aus weiter Entfernung, jüngst sogar aus Satellitendistanz, und unter schlechten Lichtverhältnissen erlaubt, noch weiter gewachsen.

b) Der Schutz der Privatsphäre erstreckt sich auch auf einen räumlichen Bereich, in dem der Einzelne zu sich kommen, sich entspannen oder auch gehenlassen kann. Er muß die Möglichkeit haben, frei von öffentlicher Beobachtung und damit der von ihr erzwungenen Selbstkontrolle zu sein, auch ohne daß er sich deswegen notwendig anders verhielte als in der Öffentlichkeit. Bestünden solche Rückzugsbereiche nicht mehr, könnte der Einzelne psychisch überfordert sein, weil er unausgesetzt darauf achten müßte, wie er auf andere wirkt und ob er sich richtig verhält. Ihm fehlten die Phasen des Alleinseins und Ausgleichs, die für die Persönlichkeitsentfaltung notwendig sind und ohne die sie nachhaltig beeinträchtigt würde. Das gilt auch für Personen des öffentlichen Lebens.

Der Schutz ist nicht auf den häuslichen Bereich begrenzt. Der Einzelne muß vielmehr grundsätzlich die Möglichkeit haben, sich auch in der freien, gleichwohl abgeschiedenen Natur oder an Örtlichkeiten, die von der breiten Öffentlichkeit deutlich abgeschieden sind, in einer von öffentlicher Beobachtung freien Weise zu bewegen. Das gilt gerade gegenüber solchen Aufnahmetechniken, die die räumliche Abgeschiedenheit überwinden, ohne daß der Betroffene dies bemerken kann.

Wo die Grenzen der geschützten Privatsphäre außerhalb des Hauses verlaufen, läßt sich nicht generell und abstrakt festlegen. Ausschlaggebend ist, ob der Einzelne eine Situation vorfindet oder schafft, in der er begründetermaßen und somit auch für Dritte erkennbar davon ausgehen darf, den Blicken der Öffentlichkeit nicht ausgesetzt zu sein.

Danach fallen jedenfalls Plätze, an denen sich der Einzelne unter vielen Menschen befindet, nicht unter den Privatsphärenschutz. Der Einzelne kann solche Orte auch nicht etwa durch ein Verhalten, das typischerweise nicht öffentlich zur Schau gestellt würde, in seine Privatsphäre umdefinieren. Nicht sein Verhalten konstituiert die Privatsphäre, sondern die objektive Gegebenheit der Örtlichkeit zur fraglichen Zeit.

Der Schutz entfällt ferner, wenn jemand - etwa durch den Abschluß von Exklusiv-Verträgen - seine privaten Angelegenheiten öffentlich macht. In einem solchen Fall kann sich der Betroffene nicht gleichzeitig auf den öffentlichkeitsabgewandten Privatsphärenschutz berufen. Die Erwartung, daß die Umwelt die Angelegenheiten oder Verhaltensweisen in einem Bereich mit Rückzugsfunktion nur begrenzt oder nicht zur Kenntnis nimmt, muß daher situationsübergreifend und konsistent zum Ausdruck gebracht werden.

Soweit Kinder betroffen sind, muß der Bereich, in dem sie sich frei von öffentlicher Beobachtung fühlen und entfalten dürfen, umfassender geschützt sein als derjenige Erwachsener. Denn Kinder bedürfen eines besonderen Schutzes, weil sie sich zu eigenverantwortlichen Personen erst entwickeln müssen. Da für die kindliche Persönlichkeitsentwicklung in erster Linie die Eltern verantwortlich sind, fällt auch die spezifisch elterliche Hinwendung zu den Kindern grundsätzlich in den Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Der Schutzgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfährt dann eine Verstärkung durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, der den Staat verpflichtet, die Lebensbedingungen des Kindes zu sichern, die für sein gesundes Aufwachsen erforderlich sind. Wie sich die Verstärkung des Persönlichkeitsschutzes im einzelnen auswirkt, läßt sich nicht generell und abstrakt bestimmen. Zwar wird es regelmäßig an einem Schutzbedürfnis fehlen, wenn sich Eltern mit ihren Kindern bewußt der Öffentlichkeit zuwenden. Im übrigen kann der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugunsten spezifischer Eltern-Kind-Beziehungen grundsätzlich aber auch dort eingreifen, wo es an den Voraussetzungen der örtlichen Abgeschiedenheit fehlt.

c) Bei der Auslegung der Vorschriften des Rechts am eigenen Bild (22, 23 Kunsturhebergesetz; KUG) ist neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) zu berücksichtigen.

Das mit der Pressefreiheit verfolgte Ziel der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung beschränkt sich nicht auf den politischen Bereich und die informierenden Beiträge. Meinungsbildung und Unterhaltung sind keine Gegensätze. Auch in unterhaltenden Beiträgen findet Meinungsbildung statt. Sie können Realitätsbilder vermitteln und Gesprächsgegenstände zur Verfügung stellen, an die sich Diskussionsprozesse und Integrationsvorgänge anschließen können, die sich auf Lebenseinstellungen, Werthaltung und Verhaltensmuster beziehen, und erfüllen insofern wichtige gesellschaftliche Funktionen. Das gilt auch für die Berichterstattung über Personen. Prominente Personen stehen für bestimmte Wertvorstellungen und Lebenshaltungen. Vielen bieten sie deshalb Orientierung bei eigenen Lebensentwürfen.

Anwendung des Maßstabs auf den konkreten Fall
Diesen Anforderungen hält das Urteil des BGH überwiegend stand. Lediglich die erhöhte Schutzbedürftigkeit von Eltern-Kind-Beziehungen hat nicht die von Verfassungs wegen erforderliche Würdigung gefunden.

a) Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, die Bf als Person von zeitgeschichtlicher Bedeutung anzusehen, mit der Folge, daß für die Veröffentlichung von Fotos keine Einwilligung der Betroffenen erforderlich ist (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG)

Der Persönlichkeitsschutz wird nicht dadurch verletzt, daß der Begriff "Zeitgeschichte" nicht etwa allein Vorgänge von historischer oder politischer Bedeutung erfaßt, sondern vom Informationsinteresse der Öffentlichkeit her bestimmt wird. Es gehört zum Kern der Presse- und Meinungsbildungsfreiheit, daß die Presse innerhalb der gesetzlichen Grenzen nach publizistischen Kriterien selbst entscheiden kann, was öffentliches Interesse beansprucht, und daß sich im Meinungsbildungsprozeß herausstellt, was eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ist.

Nicht zu beanstanden ist ferner, daß der BGH dem "Bereich der Zeitgeschichte" auch Bildnisse von Personen zuordnet, die das öffentliche Interesse nicht punktuell durch ein bestimmtes zeitgeschichtliches Ereignis auf sich gezogen haben, sondern unabhängig von einzelnen Ereignissen aufgrund ihres Status oder ihrer Bedeutung allgemeine öffentliche Aufmerksamkeit finden.

Schließlich verlangt das Persönlichkeitsrecht auch nicht, die einwilligungsfreie Veröffentlichung auf Bilder zu beschränken, die die Person in Ansehung ihrer Funktion zeigen. Vielmehr kann sich das öffentliche Interesse wegen der herausgehobenen Funktion auch auf Informationen darüber erstrecken, wie sich diese Person generell, also außerhalb ihrer Funktion, in der Öffentlichkeit bewegt. Eine Begrenzung auf die Funktion einer Person der Zeitgeschichte würde das öffentliche Interesse unzureichend berücksichtigen. Sie würde zudem eine selektive Darstellung begünstigen, die dem Publikum Beurteilungsmöglichkeiten vorenthielte, die es für Personen des gesellschaftlich - politischen Lebens wegen ihrer Leitbildfunktion und ihres Einflusses benötigt. Der in diesem Zusammenhang in Judikatur und Literatur regelmäßig verwandte Begriff einer "absoluten Person der Zeitgeschichte" ergibt sich zwar weder zwingend aus dem Gesetz noch aus der Verfassung. Wenn man diesen Begriff aber wie das OLG und der BGH - als abgekürzte Ausdrucksweise für Personen versteht, deren Bild die Öffentlichkeit um der dargestellten Person willen der Beachtung wert findet, so ist er verfassungsrechtlich unbedenklich, solange die einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und den berechtigten Interessen des Abgebildeten nicht unterbleibt.

b) Im Grundsatz sind auch die Kriterien, die der BGH in Auslegung des Tatbestandsmerkmals "berechtigte Interessen" (§ 23 Abs. 2 KUG) entwickelt hat, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Nach dem angegriffenen Urteil setzt die schützenswerte Privatsphäre, die auch den sogenannten absoluten Personen der Zeitgeschichte zusteht, eine örtliche Abgeschiedenheit voraus, in die sich jemand zurückgezogen hat, um dort objektiv erkennbar für sich allein zu sein, und in der er sich im Vertrauen auf die Abgeschiedenheit so verhält, wie er es in der breiten Öffentlichkeit nicht täte. Einen Verstoß gegen § 22, 23 KUG nimmt der BGH an, wenn Bilder veröffentlicht werden, die von dem Betroffenen in einer solchen Situation heimlich oder unter Ausnutzung einer Überrumpelung aufgenommen worden sind.

Das Kriterium der örtlichen Abgeschiedenheit trägt einerseits dem Sinn des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Rechnung (s. oben Ziff. II. 1b.) - Es engt auch die Pressefreiheit nicht übermäßig ein, weil es das Alltags- und Privatleben von Personen der Zeitgeschichte der Bildberichterstattung nicht völlig entzieht, sondern dort, wo es sich in der Öffentlichkeit abspielt, auch der Abbildung zugänglich macht.

Ob die weiteren Kriterien (Verhalten des Einzelnen und Methode der Informationsgewinnung) tatsächlich geeignet sind, den Schutz der außerhäuslichen Privatsphäre zu sichern, ist zweifelhaft. So ist es beispielsweise einem Foto oft nicht anzusehen, ob es heimlich oder überrumpelnd aufgenommen worden ist. Diese Frage brauchte jedoch vom BVerfG nicht entschieden zu werden, weil der BGH hinsichtlich der umstrittenen Fotos bereits das Vorhandensein einer Sphäre der Abgeschiedenheit verneint hatte.

c) Die verfassungsrechtlichen Anforderungen sind dagegen nicht erfüllt, soweit die angegriffenen Entscheidungen dem Umstand keine Beachtung geschenkt haben, daß die persönlichkeitsrechtliche Schutzposition der Bf im Fall des familiären Umgangs mit ihren Kindern durch Art. 6 GG verstärkt wird.

d) Für die einzelnen Abbildungen ergibt sich danach folgendes:

Soweit es um die Fotos geht, die die Bf allein oder mit anderen Erwachsenen zeigen, ist das Urteil des BGH nicht zu beanstanden. In allen Fällen hielt sich die Bf an nicht abgeschiedenen, der Öffentlichkeitssphäre zuzurechnenden Örtlichkeiten auf.

Die drei Fotos, auf denen die Bf zusammen mit ihren Kindern abgebildet ist, bedürfen jedoch einer Überprüfung. Insoweit war das Urteil des BGH aufzuheben und der Fall zur erneuten Entscheidung an ihn zurückzuverweisen.

Urteil vom 15. Dezember 1999 - Az. 1 BvR 653 / 96 -

Rechtsgebiete

Urheberrecht