Präklusion von Einwendungen im Baugenehmigungsverfahren

Gericht

VGH Mannheim


Art der Entscheidung

Beschluss über Beschwerde


Datum

01. 04. 1998


Aktenzeichen

8 S 722/98


Leitsatz des Gerichts

  1. § 55 II 2 BadWürttBauO ist verfassungsmäßig.

  2. Die bloße Mitteilung des Angrenzers, daß er "Einspruch" gegen das Bauvorhaben erhebe, reicht nicht aus, um zu verhindern, daß er gem. § 55 II 2 BadWürttBauO mit seinen nicht fristgemäß vorgebrachten Einwendungen ausgeschlossen wird. Das Vorbringen muß vielmehr erkennen lassen, in welcher Hinsicht aus der Sicht des Angrenzers Bedenken gegen das Bauvorhaben bestehen. Das erfordert die Bezeichnung des verletzten Rechtsguts und eine zumindest grobe Darlegung der im einzelnen befürchteten Beeinträchtigungen.

  3. Gegenstand möglicher Einwendungen des Angrenzers ist das durch den Bauantrag gekennzeichnete Bauvorhaben. Der Umstand, daß die Baurechtsbehörde dem Bauherrn von einer seinem Vorhaben entgegenstehenden Vorschrift Befreiung erteilt, bedeutet daher nicht das Eintreten einer neuen, von der Präklusion nicht erfaßten Tatsache.

  4. Die nachträgliche Änderung des Bauantrags hat nicht in jedem Fall zur Folge, daß der mit dem Verstreichen der Einwendungsfrist verbundene Verlust der Abwehrrechte gegen das Vorhaben hinfällig wird. Eine solche Wirkung tritt vielmehr nur ein, wenn und soweit die Änderung des Bauantrags zu einer zusätzlichen Beeinträchtigung der Belange des Angrenzers führt.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Anträge auf Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluß des VG Stuttgart vom 10. 2. 1998 (13 K 6818/97) wurden abgelehnt.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Anträge sind unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

1. Entgegen der Ansicht der Ast. bestehen an der Richtigkeit der Entscheidung des VG keine Zweifel. Das VG hat die Anträge der Ast., mit denen diese vorläufigen Rechtsschutz gegen die der Beigel. erteilte Baugenehmigung begehren, mit der Begründung zurückgewiesen, daß sie nicht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 55 II 1 BadWürttBauO konkrete Einwendungen gegen das Bauvorhaben vorgebracht hätten und deshalb mit ihren Einwendungen ausgeschlossen seien. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen.

a) Nach § 55 II 2 BadWürttBauO werden die von dem Bauantrag durch Zustellung benachrichtigten Angrenzer mit allen Einwendungen ausgeschlossen, die sie nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Benachrichtigung bei der Gemeinde schriftlich oder zur Niederschrift vorgebracht haben. Das Gesetz bezeichnet diese Wirkung als materielle Präklusion und stellt damit klar, daß die betreffenden Personen nicht nur ihren Anspruch auf Behandlung ihrer Einwendungen verlieren, sondern sie diese auch in einem nachfolgenden Widerspruchs- oder Klageverfahren nicht mehr geltend machen können (vgl. die Begr. des GE, LT-Dr 11/5337, S. 115, zit. in Schenk, BadWürttBauO, S. 265). An der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift, für die es etliche Vorbilder in anderen Gesetzen (vgl. u.a. § 10 III 3 BImSchG, § 7 I 2 AtVfO, § 17 IV 1 FStrG, § 17 Nr. 5 S. 1 Halbs. 1 WaStrG, § 10 II 1 AEG, § 10 IV 1 LuftVG) gibt, ist nicht zu zweifeln (vgl. zur Verfassungsmäßigkeit der vergleichbaren Vorschriften in § 7 I 2 AtVfO und § 17 IV 1 FStrG BVerfGE 61, 82 (109ff.) = NJW 1982, 2173 = NVwZ 1982, 554 L; BVerwGE 60, 297 = NJW 1981, 359 und BVerwG, NVwZ 1997, 489).

Die Einführung einer materiellen Präklusion im Baugenehmigungsverfahren verstößt insbesondere nicht gegen Art. 19 IV 1 GG. Zwar gewährleistet diese Vorschrift nicht allein den Rechtsweg, sondern verbürgt auch die Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes. Der Gesetzgeber wird dadurch jedoch nicht daran gehindert, aus sachgerechten Gründen Verfahrensregeln, Form- und Fristerfordernisse sowie Darlegungspflichten einzuführen. Mit der Regelung in § 55 II 1 BadWürttBauO verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, das Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und zu konzentrieren. Die Vorschrift soll ferner die Bestandskraft der Baugenehmigung gegenüber denjenigen Angrenzern stärken, die sich nicht oder nicht rechtzeitig am Verwaltungsverfahren beteiligt haben, und damit das Risiko des Bauherrn, daß gegen die ihm erteilte Baugenehmigung nachträglich Rechtsbehelfe eingelegt werden, überschaubarer machen (LT-Dr 11/5337, S. 115f.). Diese Ziele sind legitim. Die Interessen der Angrenzer werden durch die konkrete Ausgestaltung der diesen Zielen dienenden Regelung nicht unangemessen vernachlässigt, auch wenn die einzuhaltende Frist von nur 14 Tagen an der unteren Grenze des noch rechtsstaatlich Zulässigen liegen dürfte, da ihr - anders als in den Fällen der §§ 17 IV 1 FStrG, 17 Nr. 5 S. 1 Halbs. 1 WaStr sowie § 20 II 1 AEG, die vergleichbar kurze Fristen enthalten - keine Auslegungsfrist vorangeht.

Aus den gleichen Gründen bestehen auch keine Bedenken an der Vereinbarkeit des § 55 II 1 BadWürttBauO mit Art. 14 I 1 GG. Inwieweit diese Vorschrift überhaupt vor Veränderungen auf dem Nachbargrundstück schützt, kann dabei dahinstehen. Nach Art. 14 I 2 GG ist es die Aufgabe des Gesetzgebers, den Eigentumsinhalt näher auszugestalten. Hierzu gehören auch Regelungen über die verfahrensmäßige Durchsetzung bestehender Eigentümerpositionen (vgl. BVerwG, NVwZ 1997, 489).

b) Die Ast. haben in ihrem innerhalb der Frist des § 55 II 1 BadWürttBauO bei der Ag. eingegangenen Schreiben vom 5. 8. 1997 mitgeteilt, daß sie "Einspruch" gegen das Bauvorhaben erheben. Diese Mitteilung hat das VG zu Recht als nicht ausreichend angesehen. Zwar dürfen an die erforderliche Substantiierung und Konkretisierung der Einwendungen im Rahmen des § 55 II 1 BadWürttBauO keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden. Das Vorbringen muß jedoch erkennen lassen, in welcher Hinsicht aus der Sicht des Angrenzers Bedenken gegen das Bauvorhaben bestehen. Das erfordert die Bezeichnung des verletzten Rechtsguts und eine zumindest grobe Darlegung der im einzelnen befürchteten Beeinträchtigungen. Das schlichte "Nein" gegenüber dem betreffenden Bauvorhaben genügt dagegen ebenso wenig wie die bloße Mitteilung oder Ankündigung, es würden Einwendungen erhoben (vgl. zu den Anforderungen in anderen Präklusionsvorschriften BVerwG, Buchholz 445.5 § 14 WaStrG Nr. 3 = NVwZ 1995, 905; BVerwG, NVwZ 1998, 504 = ZfBR 1998, 46; NJW 1981, 359).

c) Die Präklusion des § 55 II 2 BadWürttBauO erstreckt sich nicht auf solche Tatsachen, die erst nach Ablauf der Einwendungsfrist eingetreten sind und daher während der Frist nicht vorgebracht werden konnten. Als eine derartige Tatsache bezeichnen die Ast. den Umstand, daß die Ag. in der Baugenehmigung von verschiedenen Vorschriften ihrer Ortsbausatzung Befreiung erteilt hat. Sie verkennen damit den Gegenstand einer möglichen Nachbareinwendung. Dieser Gegenstand wird durch das jeweilige Bauvorhaben und seine Vereinbarkeit mit den den betreffenden Nachbarn schützenden Vorschriften gebildet. Der Umstand, daß die Baurechtsbehörde von verschiedenen dem Bauvorhaben der Beigel. von Anfang an entgegenstehenden Vorschriften Befreiung erteilt hat, bedeutet daher nicht das Eintreten einer neuen, von der Präklusion nicht erfaßten Tatsache.

Die mit dem Ablauf der Frist eingetretene Präklusion ist auch nicht durch die nachträglich vorgenommenen Änderungen des Bauvorhabens entfallen. Die nachträgliche Änderung des Bauantrags hat nicht in jedem Fall zur Folge, daß der mit dem Verstreichen der Einwendungsfrist verbundene Verlust der Abwehrrechte gegen das Vorhaben hinfällig wird. Eine solche Wirkung tritt vielmehr nur ein, wenn und soweit die Änderung des Bauantrags zu einer zusätzlichen Beeinträchtigung der Belange des Angrenzers führt. Die Rechtslage ist in dieser Beziehung nicht anders als bei einer nachträglichen Änderung eines Bauantrags, zu dem der Angrenzer seine Zustimmung erteilt hat (vgl. hierzu Senat, BRS 56 Nr. 182).

Eine solche Änderung ist im vorliegenden Fall nicht erfolgt. Die während des Genehmigungsverfahrens vorgenommenen Änderungen bestanden im einzelnen in einer Absenkung der Trauf- und Firsthöhe des an der S.-Straße geplanten Gebäudes um einen Meter, einer Veränderung der Höhenlage der unteren Tiefgaragenebene (bei unveränderter Höhenlage der oberen Ebene) sowie einer Reduzierung der Tiefe der Erker und Balkone sowie der Breite der Gauben auf der Ostseite der an der G.-Straße geplanten Gebäude. Wie das VG zutreffend dargelegt hat, werden durch diese Änderungen die nachbarlichen Interessen der Ast. in keiner Weise berührt. Die vorgenommenen Änderungen wirkten sich vielmehr allenfalls zu ihren Gunsten aus. Insoweit werden von den Ast. in ihrem Zulassungsantrag auch keine Einwendungen gegen die Entscheidung des VG erhoben.

Rechtsgebiete

Baurecht

Normen

GG Art. 14 I 1, 19 IV ; BadWürttBauO § 55 II 2