Ballungsraumzulage - Anrechnung einer Tariflohnerhöhung

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

25. 07. 1996


Aktenzeichen

6 AZR 179/95


Leitsatz des Gerichts

  1. Die Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf eine höhere Grundvergütung i.S.des § 27 Abschn. C BAT (sog. Ballungsraumzulage) unterliegt nach den Grundsätzen des Beschlusses des Großen Senats des BAG vom 3. 12. 1991 (BAGE 69, 134 = NZA 1992, 749 = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG1972 Lohngestaltung) der betrieblichen Mitbestimmung.

  2. Die hälftige Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf eine nach den Grundsätzen der genannten Tarifbestimmung gemeindlichen Arbeitnehmern gewährten monatlichen Zulage von 100 DM in der Weise, daß bei Beziehern einer monatlichen Vergütung von mehr als 3000 DM angerechnet wird, während bei Beziehern geringerer Monatseinkommen die Anrechnung unterbleibt, ist nach hessischem Personalvertretungsrecht nur mit Zustimmung des Personalrats wirksam.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. verlangt von der Bekl. die Weiterzahlung einer Zulage. Der Kl. ist bei der Bekl. seit dem 14. 4. 1975 als Angestellter beschäftigt. Nach § 2 des Arbeitsvertrages richtet sich das Arbeitsverhältnis der Parteien nach den Vorschriften des BAT und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen. Durch § 1 Nr. 1 des 65. Änderungstarifvertrags zum BAT vom 30. 10. 1990 wurde dem § 27 BAT ein Abschnitt C angefügt, der folgenden Wortlaut hat:

§ 27. C. Vorweggewährung von Lebensaltersstufen/Stufen. Soweit es zur Deckung des Personalbedarfs erforderlich ist, kann dem Angestellten im Rahmen der dafür verfügbaren Mittel bis zum 31. 12. 1995 anstelle der ihm nach Abschnitt A oder B zustehenden Lebensaltersstufen/Stufe der Grundvergütung eine um bis zu höchstens vier - in der Regel nicht mehr als zwei - Lebensaltersstufen/Stufen höhere Grundvergütung vorweg gewährt werden; die Endgrundvergütung darf nicht überschritten werden. ... Grundsätze für die Vorweggewährung werden durch die für das Tarifrecht zuständige Stelle des Arbeitgebers festgelegt.

Der Magistrat der Bekl. entschied durch Beschluß vom 7. 12. 1990, den Mitarbeitern zeitlich befristet eine "Ballungsraumzulage" zu gewähren. Die Stadtverordnetenversammlung der Bekl. stimmte dem am 24. 1. 1991 zu. Der Beschluß des Magistrats wurde in den "Nachrichten für die Stadtverwaltung" Nummer 4 vom 15. 1. 1991 veröffentlicht und in die "Allgemeine Dienst- und Geschäftsanweisung" - AGA - der Bekl. in Teil III Nr. 503 als "Richtlinien über die Gewährung einer Zulage zur Sicherung der Funktions- und Wettbewerbsfähigkeit der Stadt Frankfurt am Main auf dem Arbeitsmarkt (Ballungsraumzulage)" (fortan: Richtlinien 91) aufgenommen. In diesen Richtlinien heißt es:

1. Allgemeines. (1) Durch Beschluß Nr. 3362 vom 7. 12. 1990 hat der Magistrat entschieden, grundsätzlich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Beamten-, Arbeits- und in einem Ausbildungsverhältnis ab 1. 1. 1991 bis 31. 12. 1995 einheitlich eine monatliche Zulage (Ballungsraumzulage) in Höhe von 100 DM brutto zu gewähren.

Hierdurch soll den besonderen finanziellen Belastungen, denen die städtischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ballungsraum Rhein-Main ausgesetzt sind, sowie den zunehmenden Schwierigkeiten, in hinreichendem Umfang qualifiziertes Personal zu gewinnen und zu binden, soweit möglich begegnet werden.

(2) Mit der Regelung wird von den Gestaltungsmöglichkeiten des § 72 BBesG i.V.mit der Sonderzuschlagsverordnung (SZsV) sowie der zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbarten Regelungen über Zulagen zur Deckung des Personalbedarfs abschließend Gebrauch gemacht.

Die Ballungsraumzulage wird zusätzlich zu bestehenden überoder außertariflichen Leistungen (z.B. übertarifliche Eingruppierung und Prämiensystem der Schreibkräfte) gewährt.

(3) Der gesetzlichen bzw. tarifvertraglichen Ausgangslage entsprechend soll die Ballungsraumzulage bis zum 31. 12. 1995 gezahlt werden.

2. Ausgestaltung der Regelung

2.1. Begünstigter Personenkreis.

(1) Die Zulage erhalten

1. alle Angestellten in den VergGr. IX bis III BAT und Kr. I bis Kr. XII BAT einschließlich derjenigen, die gem. § 3 Buchst. n BAT dem Geltungsbereich des BAT nicht unterliegen,

...

2.2. Zulagenhöhe.

1. Die Zulage beträgt für Vollbeschäftigte 100 DM/Monat. ...

4. Die Zulage nimmt an allgemeinen Besoldungs- und Tariferhöhungen nicht teil.

2.3. Rechtsnatur der Zulage.

(1) Die Zulage zählt zum steuer- und sozialversicherungspflichtigen Entgelt. Sie ist umlagepflichtig nach dem Zusatzversorgungsrecht.

Sie gehört nicht zu den ruhegehaltsfähigen Dienstbezügen. Versorgungsempfängerinnen und -empfängern wird sie nicht gewährt.

(2) Die Zulage fließt in Krankenbezüge, Urlaubsvergütungen/-lohn, die Zuwendung oder Sonderzuwendung und das Übergangsgeld ein.

Sie wird auf Besitzstände und Ausgleichszulagen nicht angerechnet und neben über- oder außertariflichen Leistungen gewährt.

(3) Beginnt oder endet ein Arbeits-, Beamten- oder Ausbildungsverhältnis im Laufe eines Kalendermonats oder kommt es dann zum Ruhen oder enden dann Krankenbezugsfristen, wird die Zulage anteilig gewährt ...

Der Kläger erhielt die Zulage in Höhe von 100 DM ab dem 1. 1. 1991. Nachdem das hessische Ministerium des Innern und für Europaangelegenheiten als Aufsichtsbehörde das Defizit im Haushalt der Bekl. beanstandet hat, beschloß die Stadtverordnetenversammlung auf Antrag des Magistrats am 24. 6. 1993, die Gewährung der Ballungsraumzulage neu zu regeln. Die in den "Nachrichten für die Stadtverwaltung" Nummer 19 vom 21. 6. 1993 veröffentlichten "Richtlinien über die Weitergewährung der Ballungsraumzulage ab 1. 7. 1993" (fortan: Richtlinien 93) lauten:

1. Allgemeines. Ab 1. 7. 1993 wird die Ballungsraumzulage (AGA III, 503) einkommensabhängig und unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs gewährt.

2. Einkommensgrenze.

(1) Bedienstete, deren regelmäßiges monatliches Einkommen am Tag des Inkraftretens der jeweils geltenden Lohn-, Vergütungs-, Ausbildungsvergütungs- und Entgelttarifverträge, vergleichbarer allgemeiner Regelungen sowie des jeweiligen Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetzes (Stichtag) 3000 DM brutto nicht übersteigt, erhalten die Ballungsraumzulage nach den zur Zeit geltenden Regelungen längstens bis zum 31. 12. 1995 weiter.

Erster Stichtag für Arbeitnehmer/innen ist damit der 1. 1. 1993.

Übersteigt das regelmäßige monatliche Einkommen 3000 DM, wird die Ballungsraumzulage gemindert. ...

3. Zu berücksichtigendes Einkommen.

(1) Als regelmäßiges monatliches Einkommen sind anzusetzen ...

2. bei Angestellten die Grundvergütung, der Ortszuschlag sowie alle ständig zu gewährenden Zulagen, ...

4. Ermittlung des weiterzuzahlenden Betrages.

(1) Übersteigt das regelmäßige monatliche Einkommen i.S.des Abschn. 3 am Stichtag die Einkommensgrenze, wird die Ballungsraumzulage um die Hälfte des Unterschiedsbetrages zwischen dem regelmäßigen monatlichen Einkommen, das am Stichtag ohne Berücksichtigung der allgemeinen Bezügeerhöhung zustehen würde, andererseits gemindert. ...

Ergibt sich eine Ballungsraumzulage von weniger als 5 DM, wird diese nicht ausgezahlt.

(2) Der sich ergebende Betrag der Ballungsraumzulage wird im Zuge der nächstfolgenden allgemeinen Bezügeerhöhung in derselben Weise vermindert. Die Zahlung dann noch verbleibender Restbeträge wird spätestens zum 31. 12. 1994 eingestellt. ...

(5) Eine Anrechnung allgemeiner Tariferhöhungen unterbleibt insoweit, als bereits anderweitig eine Anrechnung erfolgt. ...

Die Bekl. hatte zuvor mit Schreiben ihres Dezernenten für Personal, Organisation und Öffentliche Ordnung vom 19. 4. 1993 dem Gesamtpersonalrat "im Rahmen der vertrauensvollen Zusammenarbeit" von der beabsichtigten Änderung Kenntnis gegeben. Der Gesamtpersonalrat äußerte sich in der Folgezeit nicht.

Auf Grund der geänderten Richtlinien erhielt der Kl. seit dem 1. 7. 1993 eine monatliche Ballungsraumzulage von nur noch 7,71 DM brutto. Durch Beschluß des Magistrats vom 29. 4. 1994 strich die Bekl. mit Wirkung zum 1. 7. 1994 allen Bediensteten, auch dem Kl., die verbliebene Ballungsraumzulage. Die Stadtverordnetenversammlung der Bekl. hat dem zugestimmt. Der Kl. hat Weitergewährung der Zulage für die Zeit vom 1. 7. 1993 bis zum 31. 12. 1995 verlangt und die Auffassung vertreten, die Bekl. sei nicht berechtigt gewesen, die Ballungsraumzulage ab dem 1. 7. 1993 zu kürzen und ab dem 1. 7. 1994 ganz zu streichen. Die Richtlinien 91 seien durch ihre Veröffentlichung Bestandteil seines Arbeitsvertrages geworden. Bei der Einführung der Ballungsraumzulage habe sich die Bekl. einen Widerruf nicht vorbehalten. Außerdem sei der Widerruf der Ballungsraumzulage schon wegen fehlender Zustimmung des Personalrats rechtsunwirksam.

Der Kl. hat unter Zusammenrechnung der unstreitigen Beträge von 1107,48 DM brutto (für die Zeit vom 1. 7. 1993 bis zum 30. 6. 1994) und von 1800 DM brutto (für die Zeit vom 1. 7. 1994 bis zum 31. 12. 1995) beantragt, die bekl. Stadt zu verurteilen, an ihn 2907,48 DM brutto zu zahlen.

Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Kl. hat das LAG durch Teilurteil das Urteil des ArbG teilweise abgeändert und der Klage in Höhe des den Zeitraum vom 1. 7. 1993 bis zum 30. 6. 1994 betreffenden Betrags von 1107,48 DM brutto stattgegeben. Die Revision der Bekl. blieb erfolglos.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Zu Recht hat das LAG der Klage im Umfang des angefochtenen Teilurteils stattgegeben.

I. Der Kl. hat gegen die Bekl. einen vertraglichen Anspruch auf Weitergewährung der ungekürzten Ballungsraumzulage für die Monate Juli 1993 bis einschließlich Juni 1994. Außer dem Betrag von 7,71 DM monatlich, den die Bekl. gezahlt hat, stehen dem Kl. weitere 92,29 DM monatlich zu.

Die Kürzung der Ballungsraumzulage zum 1. 1. 1993 war dem Kl. gegenüber unwirksam, weil es an der ordnungsgemäßen Beteiligung des Gesamtpersonalrats fehlte.

1. Zu Recht hat das LAG angenommen, daß der Anspruch des Kl. auf Zahlung der Ballungsraumzulage auf einer Gesamtzusage der Bekl. beruhte.

a) Die Bekanntmachung des Beschlusses des Magistrats vom 7. 12. 1990 in den "Nachrichten für die Stadtverwaltung" vom 15. 1. 1991 stellte ein bindendes Angebot der Bekl. auf Gewährung der Ballungsraumzulage dar.

Einer besonderen Annahmeerklärung des Kl. bedurfte es nicht. Im Dienstverkehr öffentlicher Verwaltungen und Betriebe ist es nicht üblich, daß ein Angestellter eine ihn begünstigende Erklärung des Dienstherrn eigens annimmt (BAG, AP Nr. 24 zu § 252 BGB Ruhegehalt).

b) Die Zusage bedurfte nicht als Nebenabrede nach § 4 II 1 BAT der Schriftform.

Während die in § 4 I BAT geregelte Schriftform nur deklaratorischen Charakter hat, kommt der Schriftform im Anwendungsbereich des § 4 II BAT konstitutive Bedeutung zu (z.B. BAG 52, 33 (39ff.) = AP Nr. 12 zu § 4 BAT (zu 2)). Nach der st. Rspr. des 4. Senats des BAG bezieht sich der Anwendungsbereich des § 4 I BAT auf die Hauptrechte und Hauptpflichten aus dem Arbeitsvertrag, insbesondere Arbeitsleistung und Arbeitsentgelt. § 4 II BAT betrifft demgegenüber sonstige Gegenstände, die entweder Sekundärcharakter oder jedenfalls nicht unmittelbar etwas mit den Hauptrechten und Hauptpflichten aus dem Arbeitsvertrag zu tun haben (vgl. BAGE 52, 33 (39ff.) = AP Nr. 12 zu § 4 BAT).

Die Zusage eines höheren als des nach der Anlage 1a zum BAT vorgesehenen Entgelts betrifft ein Hauptrecht aus dem Arbeitsvertrag (vgl. BAG, AP Nr. 2 zu § 4 BAT). Die Ballungsraumzulage hat Entgeltcharakter. In einem die rückwirkende Vorweggewährung von Lebensaltersstufen nach § 27 Abschn. C BAT betreffenden Fall hat der erkennende Senat dies bereits im Urteil (AP Nr. 5 zu § 27 BAT (zu II 1c) = NZA 1995, 548L) entschieden. Es gilt gleichermaßen für die streitgegenständliche Zulage. Zwar bemerkt das BerGer. zutreffend, daß die Richtlinien 91 nicht, wie in § 27 Abschn. C BAT vorgesehen, die Vorweggewährung von Lebensaltersstufen regelt. Die Bekl. hat jedoch dadurch, daß sie in den Richtlinien 91 auf die tarifliche Regelung Bezug genommen hat, zum Ausdruck gebracht, daß die einheitliche monatliche Zulage von 100 DM brutto die gleiche Rechtsnatur haben soll wie die Ballungsraumzulage nach § 27 Abschn. C BAT. In beiden Fällen geht es daher um eine Erhöhung der Grundvergütung, die dem Regelungsbereich des § 4 I BAT unterfällt.

Die Formbedürftigkeit der Zusage wäre übrigens auch dann zu verneinen, wenn der abweichenden Auffassung des 3. Senats des BAG zu folgen wäre, daß durch § 4 II BAT die Einheitlichkeit der Arbeitsbedingungen des öffentlichen Dienstes gesichert und verhindert werden soll, daß irreguläre, vom Normensystem abweichende Absprachen einer dienstaufsichtlichen Prüfung verborgen bleiben (BAGE 40, 126 (131ff.) = AP Nr. 1 zu § 3 TVArbBundespost (zu II u. III)). Die in den Richtlinien 91 in Bezug genommene Tarifregelung trägt dadurch, daß sie die Zulage der Höhe nach und zeitlich begrenzt und sie außerdem an Tatbestandsvoraussetzungen knüpft, ihrerseits bereits der Befürchtung Rechnung, daß ungewöhnliche Absprachen in unkontrollierter Weise getroffen werden. Der Schutzzweck, den der 3. Senat dem § 4 II BAT beimißt, wird somit bereits durch die speziellere Regelung des § 27 Abschn. C BAT erreicht.

2. Die Anrechnung der zum 1. 1. 1993 in Kraft getretenen Tariferhöhung auf die Ballungsraumzulage ist dem Kl. gegenüber unwirksam. Es fehlte an der Zustimmung des Gesamtpersonalrats.

a) Dieser hatte bei der zum 1. 7. 1993 vorgenommenen Anrechnung mitzubestimmen.

Nach § 74 I Nr. 13 HessPersVG hat der Personalrat bei der Änderung von Entlohnungsgrundsätzen mitzubestimmen. Soweit eine Maßnahme der Mitbestimmung des Personalrats unterliegt, bedarf sie nach rechtzeitiger und eingehender Erörterung seiner vorherigen Zustimmung (§ 69 I 1 HessPersVG).

b) Eine die Mitbestimmung ausschließende Regelung durch Tarifvertrag i.S. von § 74 I HessPersVG Eingangssatz liegt nicht vor.

Ein das Mitbestimmungsrecht ausschließender Tarifvorrang setzt eine abschließende, vollständige, das einseitige Bestimmungsrecht des Arbeitgebers ausschließende, aus sich heraus anwendbare Regelung voraus (BAGE 36, 148 = AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG1972 Tarifvorrang; BAG, AP Nr. 18 zu § 87 BetrVG1972 Tarifvorrang; BAGE 72, 229 = NZA 1993, 953 = AP Nr. 19 zu § 87 BetrVG1972 Altersversorgung). Daran fehlt es hier. § 27 Abschn. C BAT sieht in Satz 4 vor, daß die Grundsätze für die Vorweggewährung von Lebensaltersstufen/Stufen vom Arbeitgeber festzulegen sind. Hieraus erfolgt, daß eine abschließende, aus sich heraus handhabbare Tarifregelung nicht besteht. Es hängt von der Entscheidung des Arbeitgebers ab, welche Arbeitnehmer er in welchem Umfang begünstigt.

c) Zu Recht hat das LAG die tatbestandlichen Voraussetzungen des Mitbestimmungsrechts nach § 74 I Nr. 13 HessPersVG bejaht.

Nach dieser Bestimmung muß es sich um die Aufstellung bzw. Änderung eines Entlohnungsgrundsatzes handeln. Entlohnung ist, wie in § 87 I Nr. 10 und Nr. 11 BetrVG und § 75 III Nr. 4 BPersVG, jede vermögenswerte Gegenleistung des Arbeitgebers aus Anlaß des Arbeitsverhältnisses, deren Gewährung nach einem bestimmten System erfolgt (vgl. BAG, AP Nr. 16 zu § 75 BPersVG (zu II 2b); BAG, NZA 1987, 788 = AP Nr. 21 zu § 75 BPersVG (zu III 2b). So liegt der Fall hier. Die Ballungsraumzulage ist Teil der Vergütung (vgl. oben I 1b). Die Bekl. hat mit den ab dem 1. 7. 1993 geltenden Richtlinien 93 die abstrakten Kriterien für die Gewährung der Zulage geändert. Die Änderung betrifft ein vom Einzelfall losgelöstes, gruppenbezogenes Vergütungssystem. Sie unterlag auch ihrem Inhalt nach der betrieblichen Mitbestimmung.

Nach der durch den Beschluß des Großen Senats (BAGE 69, 134 = NZA 1992, 749 = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG1972 Lohngestaltung) begründeten st. Rspr. des BAG unterliegen die Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf über-/außertarifliche Zulagen und der Widerruf über-/außertariflicher Zulagen aus Anlaß und bis zur Höhe einer Tariflohnerhöhung dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bzw. des Personalrats, wenn sich dadurch die Verteilungsgrundsätze ändern und darüber hinaus für eine anderweitige Anrechnung bzw. Kürzung ein Regelungsspielraum verbleibt. Dies gilt unabhängig davon, ob die Anrechnung durch gestaltende Erklärung erfolgt oder sich automatisch vollzieht.

Die Anrechnung bzw. der Widerruf sind dann mitbestimmungsfrei, wenn sie durch das Zulagenvolumen völlig aufgezehrt oder die Tariflohnerhöhung vollständig und gleichmäßig auf die über-/außertariflichen Zulagen angerechnet werden. Im ersten Fall besteht kein Regelungsspielraum, da kein Zulagenvolumen mehr vorhanden ist, das verteilt werden könnte. Im zweiten Fall fehlt es aus rechtlichen Gründen an einem Regelungsspielraum, da der Arbeitgeber mehr als die Tariflohnerhöhung anrechnen darf und keine rechtliche Möglichkeit einer anderen Verteilung besteht. Auch bei einer Änderung der Verteilungsgrundsätze ist die Anrechnung in diesem Fall mitbestimmungsfrei (BAG GS, BAGE 69, 134 (168f.) = NZA 1992, 749 (zu c III 6)).

Nach diesen Grundsätzen waren die Richtlinien 93 mitbestimmungspflichtig. Vor dem 1. 7. 1993 erhielten alle Beschäftigten der Bekl. die monatliche Zulage in Höhe von 100 DM brutto. Nach der Anrechnung der Tariflohnerhöhung erhielten die Zulage in der ursprünglichen Höhe nur noch Beschäftigte mit einem Einkommen von bis zu 3000 DM brutto im Monat, während Beschäftigte wie der Kl. mit einem Einkommen von mehr als 3000 DM brutto im Monat eine hälftige Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf ihre Zulage hinnehmen mußten (Ziff. 4 I der Richtlinien 93). Die Bekl. änderte somit durch die Richtlinien 93 die Verteilungsgrundsätze. Sei rechnete die Tariflohnerhöhung nicht vollständig und gleichmäßig auf die Zulagen an. Hieraus folgt, daß ein Regelungsspielraum für eine anderweitige Anrechnung verblieb, da die Bekl. das eingesparte Zulagenvolumen auch bei anderer Verteilung der Anrechnung auf die Angestellten hätte einsparen können.

d) Der Annahme des Mitbestimmungsrechts stehen die nicht tragenden Erwägungen des 4. Senats in den Entscheidungen vom 27. 5. 1987 (4 AZR 548/86, 4 AZR 551/86 und 4 AZR 558/86, alle unveröff.) nicht entgegen.

Nach diesen Entscheidungen soll sich das Mitbestimmungsrecht nach § 74 I Nr. 13 HessPersVG nur auf Maßnahmen und Regelungen beziehen, die für eine bestimmte Dienststelle gelten, nicht aber auf solche für den gesamten Geschäftsbereich einer Gebietskörperschaft. Als Begründung verweist der 4. Senat auf den Wortlaut des § 75 III Nr. 4 BPersVG, wonach nur Fragen der Lohngestaltung "innerhalb der Dienststelle" mitbestimmungspflichtig sind.

Abgesehen davon, daß es vorliegend anders als in den vom 4. Senat zu beurteilenden Fällen nicht um die Regelung einer Landesregierung, sondern um eine kommunale Maßnahme geht, enthält der Wortlaut des Mitbestimmungstatbestands nach § 74 I Nr. 13 HesssPersVG eine solche Einschränkung nicht. Eine "rahmenrechtskonforme" Auslegung dieses Mitbestimmungstatbestands i.S. der entsprechenden Bundesregelung kommt nicht in Betracht. Nach § 104 BPersVG soll nur eine dem Bundespersonalvertretungsgesetz vergleichbare landesrechtliche Regelung angestrebt werden. Diese Bestimmung enthält einen unverbindlichen Programmsatz, den der Landesgesetzgeber ganz oder teilweise erfüllen kann, aber nicht muß (vgl. auch Grabendorff/Windscheid/Ilbertz/Widmaier, BPersVG, 8. Aufl., § 104 Rdnr. 3; Lorenzen/Schmitt/Etzel/Gerhold/Albers/Schlatmann, BPersVG, Stand: Dezember 1996, § 104 Rdnrn. 5, 6).

e) Die Bekl. hat den zuständigen Gesamtpersonalrat nicht um seine Zustimmung ersucht.

Der Gesamtpersonalrat war zuständig, da es sich um eine dienststellenübergreifende Maßnahme handelte (§ 83 II , IV und V HessPersVG). Dies hat die Bekl. auch erkannt, indem sie mit Schreiben vom 19. 4. 1993 dem Gesamtpersonalrat im Rahmen der vertrauensvollen Zusammenarbeit Kenntnis gegeben hat. Das genügte jedoch nicht. Da die Bekl. es unterlassen hat, den Gesamtpersonalrat um seine vorherige Zustimmung zu ersuchen, ist die zum 1. 7. 1993 vorgenommene Anrechnung dem Kl. gegenüber unwirksam, ohne daß es auf weitere rechtliche Erwägungen ankommt.

Vorinstanzen

LAG Hessen, 9 Sa 485/94, 15.11.1994

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

BAT § 27 Abschn. C, § 4; HessPersVG §§ 74 I Nr. 13, 69 I 1, 83 II, IV u. V; BetrVG § 87 I Nr. 10 u. 11; BPersVG §§ 75 III Nr. 4, 104