Rückzahlung von Ausbildungskosten nach betriebsbedingter Arbeitgeberkündigung

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

06. 05. 1998


Aktenzeichen

5 AZR 535/97


Leitsatz des Gerichts

Einzelvertragliche Abreden über die Rückzahlung von Ausbildungskosten sind insoweit unwirksam, als sie eine Erstattung auch für den Fall einer betriebsbedingten Kündigung durch den Arbeitgeber vorsehen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz nur noch darüber, ob der Bekl. der Kl. die Kosten einer Ausbildung zu erstatten hat. Die Kl. betreibt ein Omnibusunternehmen. Sie fährt im Auftrag der Stadt B. im Linien- und Schulbusverkehr. Mit Arbeitsvertrag vom 21. 10. 1994 stellte sie den Bekl. zum 7. 11. 1994 als Busfahrer ein. In der Zeit zwischen Vertragsschluß und Arbeitsbeginn erwarb der Bekl. den dafür erforderlichen Führerschein der Klasse 2 und den Personenbeförderungsschein. Die Ausbildungskosten in Höhe von 6410 DM trug die Kl. Eine Vergütung erhielt der Bekl. in dieser Zeit nicht. Der Arbeitsvertrag enthält die Regelung, daß der Bekl. „im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ die von der Kl. übernommenen Kosten im ersten Jahr vollständig, im zweiten Jahr zu zwei Dritteln und im dritten Jahr zu einem Drittel zu erstatten habe. Mit Schreiben vom 29. 5. 1996 kündigte die Kl. das Arbeitsverhältnis. In dem Schreiben heißt es: „. . . Leider müssen wir Ihnen mitteilen, daß wir das bestehende Arbeitsverhältnis in der Zeit vom 4. 7. bis 18. 8. 96 wegen Arbeitsmangel kündigen. Nach diesem Zeitpunkt sind beide Parteien von sämtlichen Rechten und Pflichten enthoben.“ In der Zeit vom 4. 7. bis 18. 8. 1996 lagen die Sommerschulferien. Die Kl. pflegte allen ihren Mitarbeitern zu Beginn der Ferien zu kündigen, um sie am Ferienende wieder einzustellen. Der Bekl. nahm das Wiedereinstellungsangebot der Kl. nicht an, weil er eine neue Stelle gefunden hatte. Die Kl. hat die Auffassung vertreten, der Bekl. schulde ihr die Erstattung von zwei Dritteln der Ausbildungskosten.

Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat ihr stattgegeben. Mit der Revision begehrt der Bekl. die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils. Die Revision hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Der Kl. steht ein Anspruch auf Erstattung der Ausbildungskosten aus der Rückzahlungsvereinbarung im Arbeitsvertrag nicht zu.

I. Zutreffend hat das LAG allerdings angenommen, daß die vertraglichen Voraussetzungen für die Erstattung eines Teils der Ausbildungskosten erfüllt sind. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist im zweiten Jahr seines Bestehens wirksam beendet worden. Daß die Beendigung auf einer Kündigung der Arbeitgeberin beruht, hindert nach dem Wortlaut der Regelung einen Erstattungsanspruch nicht. Anspruchsvoraussetzung ist danach allein die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, gleichgültig durch wen. Eine einschränkende Auslegung der Vereinbarung dahin, daß nur die Arbeitnehmerkündigung die Rückzahlungspflicht auslösen solle, ist nicht geboten. Die Parteien haben Anhaltspunkte für einen solchen Inhalt der Abrede nicht vorgetragen. Sowohl sie als auch das LAG haben sie zudem in einem dem Wortlaut entsprechenden weiteren Sinne verstanden. Von einem mit dem Wortlaut übereinstimmenden Anwendungsbereich geht daher auch der Senat aus.

II. Die vertragliche Rückzahlungsklausel ist aber rechtsunwirksam. Sie verstößt gegen §§ 138 I , 242 BGB.

1. Das LAG hat die Vereinbarung für gültig gehalten. Es hat die Auffassung vertreten, sie sei nicht deshalb unwirksam, weil sie auch den Fall der Kündigung durch den Arbeitgeber erfasse. Dem folgt der Senat nicht.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind einzelvertragliche Vereinbarungen, wonach vom Arbeitgeber aufgewendete Ausbildungskosten vom Arbeitnehmer zurückzuzahlen sind, wenn dieser das Arbeitsverhältnis vor Ablauf einer bestimmten Frist beendet, grundsätzlich zulässig (vgl. zuletzt BAG, NJW 1996, 1916 = NZA 1996, 321 = AP Nr. 23 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe [zu 2] m. w. Nachw.).

3. Nicht entschieden hat das BAG bisher die Frage, ob dies auch insoweit gilt, wie die Rückzahlungsklauseln eine Erstattung von Ausbildungskosten auch für den Fall vorsehen, daß der Arbeitgeber innerhalb der Frist kündigt. In einem Urteil vom 29. 6. 1962 (BAGE 13, 168 [173] = AP Nr. 25 zu Art. 12 GG) hat der 1. Senat angedeutet, eine Zahlungspflicht des Arbeitnehmers sei nur dann anzunehmen, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses von diesem ausgehe. In einem Urteil vom 19. 3. 1980 (AP Nr. 5 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe) hat der erkennende Senat entschieden, das Verlangen eines Arbeitgebers nach Rückzahlung der Kosten für eine Umschulung sei dann nicht begründet, wenn der Arbeitgeber nach Abschluß der Ausbildung kein Interesse am Abschluß eines Arbeitsvertrags habe. An dieser Auffassung hält der Senat fest.

4. Die Rechtswirksamkeit einer einzelvertraglichen Rückzahlungsklausel ist darüber hinaus in allen Fällen zu verneinen, in denen der Kündigungsgrund ausschließlich aus der Sphäre des Arbeitgebers stammt.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats muß die Rückzahlungspflicht aus der Sicht eines verständigen Betrachters einem begründeten und billigenswerten Interesse des Arbeitgebers entsprechen. Die Erstattungspflicht muß dem Arbeitnehmer gem. § 242 BGB nach Treu und Glauben zumutbar sein. Dies ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls aufgrund einer Güter- und Interessenabwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu ermitteln. Die richterliche Inhaltskontrolle entsprechender Rückzahlungsklauseln im Rahmen der §§ 138 I , 242 BGB ist von Verfassungs wegen geboten (BAG, NJW 1996, 1916 = NZA 1996, 321 = AP Nr. 23 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe [zu 2] m.w. Nachw.).

b) Die Rückzahlung von Ausbildungskosten ist dem Arbeitnehmer im Falle einer betriebsbedingten Kündigung bei Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht zumutbar. Das Interesse des Arbeitgebers, der seinem Arbeitnehmer eine Aus- oder Weiterbildung finanziert, geht dahin, die vom Arbeitnehmer erworbene Qualifikation möglichst langfristig für den Betrieb nutzen zu können. Dieses grundsätzlich berechtigte Interesse gestattet es dem Arbeitgeber, als Ausgleich für seine finanziellen Aufwendungen vom sich abkehrenden Arbeitnehmer für eine gewisse Frist die Kosten der Ausbildung ganz oder zeitanteilig zurückzuverlangen. Kündigt dagegen innerhalb der Bindungsfrist der Arbeitgeber selbst, so gibt er damit jedenfalls für den Fall der betriebsbedingten Kündigung zu erkennen, daß er trotz der aufgewendeten Kosten nicht bereit, zumindest nicht in der Lage ist, dem Betrieb die Qualifikation des Arbeitnehmers zu erhalten. Die sachliche Grundlage für eine Kostenbeteiligung des Arbeitnehmers, die diese als angemessenen Interessenausgleich erscheinen läßt, ist damit entfallen. Die Rückzahlungsklausel stellt nur dann eine ausgewogene Gesamtregelung dar, wenn der Arbeitnehmer es in der Hand hat, der Rückzahlungspflicht durch eigene Betriebstreue zu entgehen. Der Arbeitnehmer ist vielfach nicht in der Lage, die zum Teil erheblichen Kosten für die Aus- und Fortbildung selbst zu tragen. Bei Bestehen einer Rückzahlungsabrede nimmt er deshalb an einer solchen Maßnahme regelmäßig nur unter der Voraussetzung und im Vertrauen darauf teil, daß er für die Dauer der Bindungsfrist im Betrieb verbleiben und so auch eine nachträgliche eigene Belastung vermeiden kann. Dieses schützenswerte Vertrauen des Arbeitnehmers würde verletzt, wenn auch die Entscheidung des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis zu beenden, die Rückzahlungspflicht auslösen könnte. Im Falle einer betriebsbedingten Kündigung ist dem Arbeitnehmer ein Festhalten an der Pflicht zur Kostenbeteiligung darum nicht zumutbar. Entgegenstehende Rückzahlungsabreden sind zumindest insoweit rechtsunwirksam.

5. Im Streitfall gilt nicht deshalb etwas anderes, weil die Kl. dem Bekl. das Angebot unterbreitet hat, ihn nach Ablauf der Sommerferien erneut als Busfahrer einzusetzen. Zwar hat der Bekl. auf diese Weise die Möglichkeit erhalten, das Arbeitsverhältnis später fortzusetzen und seine Betriebstreue weiter zu erweisen. Er war jedoch nicht gehalten, dieses Angebot anzunehmen. Es ist ihm nicht vorzuwerfen, daß er sich in der Zeit zwischen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dem Wiedereinstellungsangebot um eine andere Arbeitsstelle bemüht hat und sodann an ihr festhielt. Es ist die Kl., die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses herbeigeführt und seine Nichtfortsetzung zu vertreten hat. Der Arbeitgeber, der betriebsbedingt kündigt, kann die Unwirksamkeit der Rückzahlungsvereinbarung nicht dadurch vermeiden, daß er dem Arbeitnehmer später ein Wiedereinstellungsangebot unterbreitet.

6. Ob der Klageanspruch auch deshalb unbegründet ist, weil die Rückzahlungsvereinbarung eine unzulässig lange Bindungsdauer vorsieht, kann dahinstehen. Ebensowenig muß entschieden werden, ob dem Anspruch die Ausschlußfristen eines einzelvertraglich einbezogenen Tarifvertrags und der Zusatz im Kündigungsschreiben entgegenstehen, die Parteien seien „nach diesem Zeitpunkt von sämtlichen Rechten und Pflichten enthoben“.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

BGB §§ 138, 242, 611