Haftung des Arbeitnehmers

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

23. 01. 1997


Aktenzeichen

8 AZR 893/95


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten darüber, in welcher Höhe der Bekl. der Kl. einen Schaden von 150000 DM zu ersetzen hat, den er ihr in Ausübung einer betrieblichen Tätigkeit zugefügt hat. Der 1970 geborene Bekl. war seit 1991 als Arbeiter für die Wartungsabteilung der Kl. auf dem Flughafen München eingestellt. Er hatte in wechselnden Schichtdiensten zu arbeiten. Arbeitsvertraglich war ihm der Genuß von Alkohol im Dienst und während eines angemessenen Zeitraums vor Dienstantritt untersagt. Der Bekl. verdiente zuletzt mit Zulagen monatlich 3500 DM brutto, was Auszahlungen von etwa 2500 DM netto entsprach. Am 22. 1. 1994 trat der Bekl. um 5.10 Uhr seine Frühschicht an. Er erhielt den Auftrag, mit einem 30t schweren Enteiserfahrzeug auf dem Flughafengelände zu fahren. Auf der Fahrt schlief er kurz ein. Das Fahrzeug kam von der Fahrbahn ab, streifte einen Lichtmast und durchbrach den Begrenzungszaun des Flughafens. Es entstand an dem Fahrzeug ein Sachschaden von 150000 DM. Bei dem Bekl. wurde eine Blutalkoholkonzentration von 1,41 Promille festgestellt. Wegen dieses Unfalls wurde das Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvertrag zum 31. 1. 1994 beendet. Mit ihrer Klage begehrt die Kl. von dem Bekl. die Zahlung von 150000 DM. Sie hat die Auffassung vertreten, der Bekl. habe grob fahrlässig gehandelt. Er sei wegen des vorangegangenen nächtlichen Alkoholgenusses absolut fahruntauglich gewesen und habe seinen Dienst im übermüdeten Zustand angetreten. Eine Haftungsmilderung komme nicht in Betracht. Ein Mitverschulden der Kl. scheide aus. Der Unfallschaden am Enteiserfahrzeug hätte nicht durch eine Versicherung abgedeckt werden können, weil es für solche Fahrzeuge keine Vollkaskoversicherung gebe. Eine Haftungsbegrenzung des Arbeitnehmers wegen Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz sei mit dem geltenden Haftungsrecht nicht vereinbar.

Das ArbG hat der Klage in Höhe von 120000 DM stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Dagegen haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das LAG hat den Bekl. zur Zahlung von 20000 DM verurteilt und die Berufungen im übrigen zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verlangt die Kl. weiterhin vollen Schadensersatz in Höhe von 150000 DM. Die Revision hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Die Kl. kann vom Bekl. lediglich Schadensersatz in Höhe von 20000 DM verlangen.

1. Ohne Rechtsfehler hat das LAG angenommen, der Bekl. habe seine arbeitsvertragliche Pflicht dadurch verletzt, daß er seinen Dienst im alkoholisierten Zustand angetreten, das Enteiserfahrzeug trotz absoluter Fahruntauglichkeit gefahren und infolge Trunkenheit und Übermüdung einen Schaden am Fahrzeug in Höhe von 150000 DM verschuldet habe. Hierüber streiten die Parteien in der Revisionsinstanz auch nicht mehr. Sie bewerten lediglich den Grad des Verschuldens des Bekl. unterschiedlich. Das LAG ist zutreffend von grober Fahrlässigkeit des Bekl. ausgegangen. Der Genuß "einiger Weizenbier" in der Nacht vor seiner Frühschicht und der Dienstantritt nach durchzechter Nacht mit einem Restalkoholwert von 1,41 Promille ist in besonderer Weise leichtfertig und unverantwortlich. Hinzu kommt, daß dem Bekl. arbeitsvertraglich untersagt war, im Dienst und eine angemessene Zeit vor Dienstantritt Alkohol zu trinken. Auf Unklarheiten dieser Regelung kann sich der Bekl. nicht mit Erfolg berufen. Daß bei einer Frühschicht die angemessene Zeit der Alkoholabstinenz sich auf die gesamte vorangegangene Nacht erstreckt, kann nicht bezweifelt werden. Der Bekl. hat damit die ihm als Arbeitnehmer obliegende Sorgfaltspflicht in einem ungewöhnlich hohen Maße verletzt und das außer acht gelassen, das jedem einleuchtet (BAGE 59, 203 (212) = NZA 1989, 54 = AP Nr. 7 zu § 611 BGB Gefährdungshaftung des Arbeitgebers (zu A II 2b aa)).

2. Dem LAG ist auch darin zuzustimmen, daß der Kl. kein mitwirkendes Verschulden nach § 254 BGB zuzurechnen ist. Zu Recht ist das LAG nicht der Überlegung des ArbG gefolgt, die Kl. hätte durch regelmäßige Alkoholkontrollen den Unfall des Bekl. verhindern können. Wegen der verfassungsmäßig garantierten Grundrechte auf körperliche Integrität kann der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber weder zu einer Untersuchung seines Blutalkoholwerts noch zur Mitwirkung an einer Atemalkoholanalyse gezwungen werden (BAG, NZA 1995, 517 = AP Nr. 34 zu § 1 KSchG1969 Verhaltensbedingte Kündigung (zu B III 3b aa) m.w. Nachw.). Für die Annahme, der Bekl. habe bei Dienstantritt am Unfalltag äußerlich erkennbare alkoholbedingte Ausfallerscheinungen gehabt, besteht kein Anhaltspunkt.

3. Obwohl dem Bekl. eine schuldhafte Vertragsverletzung (§§ 280 , 286 BGB analog) vorzuwerfen ist, er das Eigentum der Kl. widerrechtlich und fahrlässig verletzte (§ 823 I BGB) und er dabei grob fahrlässig handelte, haftet er für den entstandenen Schaden nicht voll.

a) Nach der Entscheidung des Großen Senats des BAG vom 27. 9. 1994 (BAGE 78, 56 = NZA 1994, 1083 = NJW 1995, 210 = AP Nr. 103 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers) finden die Grundsätze über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung auf alle Arbeiten Anwendung, die durch den Betrieb veranlaßt sind und aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geleistet werden. Die Anwendung der Grundsätze ist nicht davon abhängig, daß die den Schaden verursachenden Arbeiten gefahrgeneigt sind. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Vorwurf fahrlässigen Verhaltens betrifft die durch Arbeitsvertrag bestimmten Arbeitspflichten des Bekl.

b) Im Beschluß des Großen Senats vom 27. 9. 1994 sind die Grundsätze über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung wie folgt zusammengefaßt worden:

Bei grober Fahrlässigkeit hat der Arbeitnehmer in aller Regel den gesamten Schaden zu tragen, bei leichtester Fahrlässigkeit haftet er dagegen nicht, während bei normaler Fahrlässigkeit der Schaden in aller Regel zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer quotal zu verteilen ist. Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Arbeitnehmer an den Schadensfolgen zu beteiligen ist, richtet sich im Rahmen einer Abwägung der Gesamtumstände, insbesondere von Schadensanlaß und Schadensfolgen, nach Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten. Zu den Umständen, denen je nach Lage des Einzelfalls ein unterschiedliches Gewicht beizumessen ist und die im Hinblick auf die Vielfalt möglicher Schadensursachen auch nicht abschließend bezeichnet werden können, gehören der Grad des dem Arbeitnehmer zur Last fallenden Verschuldens, die Gefahrgeneigtheit der Arbeit, die Höhe des Schadens, ein vom Arbeitgeber einkalkuliertes oder durch Versicherung deckbares Risiko, die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb und die Höhe des Arbeitsentgelts, in dem möglicherweise eine Risikoprämie enthalten ist. Auch können unter Umständen die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers, wie die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit, sein Lebensalter, seine Familienverhältnisse und sein bisheriges Verhalten, zu berücksichtigen sein.

c) Auch wenn der Arbeitnehmer bei grober Fahrlässigkeit in aller Regel den gesamten Schaden zu tragen hat, sind Haftungserleichterungen bei grober Fahrlässigkeit nicht ausgeschlossen. Die Entscheidung ist nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zu treffen, wobei es entscheidend darauf ankommen kann, daß der Verdienst des Arbeitnehmers in einem deutlichen Mißverhältnis zum Schadensrisiko der Tätigkeit steht (BAGE 63, 127 = NZA 1990, 97 = NJW 1990, 468 = AP Nr. 97 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers). Bei der Beschränkung der Haftung des Arbeitnehmers bei Arbeiten, die durch den Betrieb veranlaßt sind, geht es darum, die Verantwortung des Arbeitgebers für die Organisation des Betriebes und die Gestaltung der Arbeitsbedingungen und das darin liegende Betriebsrisiko des Arbeitgebers mit einzubeziehen. Der Arbeitnehmer kann den vorgegebenen Arbeitsbedingungen in der Regel weder tatsächlich noch rechtlich ausweichen. Aufgrund des Weisungsrechts bestimmt der Arbeitgeber die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung. Damit prägt die vom Arbeitgeber gesetzte Organisation des Betriebes das Haftungsrisiko für den Arbeitnehmer (BAGE 78, 56 = NZA 1994, 1083 = NJW 1995, 210 = AP Nr. 103 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers (zu II 2)).

Die Haftung des Arbeitnehmers ist nach geltendem Recht allerdings nicht auf eine Höchstsumme oder eine bestimmte Anzahl von Monatsverdiensten begrenzt, wie es in der Reformdiskussion teilweise vorgeschlagen wird (vgl. z.B. Art. 1 § 99 II des vom Land Brandenburg eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung des Arbeitsrechts, BR-Dr 671/96). Der erkennende Senat sieht keine Veranlassung, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen, wonach die Festlegung einer solchen summenmäßigen Haftungsbeschränkung allein dem Gesetzgeber vorbehalten ist (vgl. BAGE 63, 127 = NZA 1990, 97 = NJW 1990, 468 = AP Nr. 97 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers (zu II 2e)).

4. Das LAG ist im Rahmen dieser Grundsätze zu dem Ergebnis gekommen, der Bekl. hafte für den von ihm verursachten Schaden von 150000 DM lediglich in Höhe von 20000 DM. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Abwägungen des LAG sind rechtsfehlerfrei. Das LAG ist zu Recht davon ausgegangen, daß im Streitfall ein besonders deutlicher Fall eines Mißverhältnisses zwischen Arbeitsentgelt und Haftungsrisiko besteht. Ein Arbeitgeber, der einfache Arbeitnehmer mit der Bedienung teuerster Maschinen beauftragt, muß sich dieses von ihm veranlaßte Risiko im Rahmen einer gerechten Risikoverteilung im Arbeitsverhältnis zurechnen lassen. Andererseits hat das LAG auch berücksichtigt, daß der Bekl. in besonderer Weise grob fahrlässig handelte, indem er trotz arbeitsvertraglichen Alkoholverbots im alkoholisierten Zustand seine Arbeit antrat und das wertvolle Enteiserfahrzeug fuhr. Das LAG hat daher zu Recht besondere Anstrengungen des Bekl. verlangt, den Schaden (teilweise) wiedergutzumachen. Dabei hat das LAG allerdings darauf hingewiesen, daß der Bekl. angesichts seiner Einkommensmöglichkeiten nicht auf Dauer in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet werden dürfe. Dem Bekl. könne bei einem monatlichen Bruttoverdienst von 3500 DM (oder etwa 2500 DM netto) lediglich ein Schadensersatzbetrag von 20000 DM zugemutet werden. Der Bekl. müsse bis zu fünf Jahre Abzahlungen leisten, um diesen Schadensersatzbetrag einschließlich der verlangten Zinsen zu leisten. Die Kl. könne daher vom Bekl. nicht mehr als 20000 DM Schadensersatz verlangen.

Diese Ausführungen halten sich im Rahmen der vom Großen Senat des BAG und von dem erkennenden Senat aufgestellten Grundsätze zur Arbeitnehmerhaftung und sind daher revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Vorinstanzen

LAG München, 4 Sa 1114/94, 21.09.1995

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers, §§ 254, 276, 280, 286, § 823 I