Entgeltliche Freistellungsauftragsverwaltung in der Klauselkontrolle

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

15. 07. 1997


Aktenzeichen

XI ZR 269/96


Leitsatz des Gerichts

Die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Klausel einer Bank, daß für die Verwaltung von Freistellungsaufträgen ein Entgelt zu entrichten ist, benachteiligt die Kunden unangemessen und ist deshalb unwirksam.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der klagende Verbraucherschutzverein hat nach seiner Satzung die Aufgabe, die Interessen der Verbraucher durch Aufklärung und Beratung wahrzunehmen. Die bekl. Bank verwendet gegenüber ihren Kunden AGB, die durch einen sogenannten „Preisaushang“ ergänzt werden. Nr. 12 I der AGB (wortgleich mit Nr. 12 I AGB-Banken i.d.F. vom Januar 1993 - abgedruckt in NJW 1992, 3278, u. in Schimansky/Bunte/Lowski, BankR-Hdb. I, 1997, Anh. 1 zu §§ 4-25 -) lautet:

„Zinsen und Entgelte im Privatkundengeschäft. Die Höhe der Zinsen und Entgelte für die im Privatkundengeschäft üblichen Kredite und Leistungen ergibt sich aus dem 'Preisaushang - Regelsätze im standardisierten Privatkundengeschäft' und ergänzend aus dem 'Preisverzeichnis'. Wenn ein Kunde einen dort aufgeführten Kredit oder eine dort ausgeführte Leistung in Anspruch nimmt und dabei keine abweichende Vereinbarung getroffen wurde, gelten die zu diesem Zeitpunkt im Preisaushang oder Preisverzeichnis angegebenen Zinsen oder Entgelte. ..."

In dem Preisaushang heißt es unter „Sonstiges“: „Verwaltung Freistellungsauftrag 12 DM pro Jahr“. Im Verfahren nach § 13 AGBG verlangt der Kl. von der Bekl., die Verwendung dieser oder inhaltsgleicher Entgeltklauseln in AGB zu unterlassen sowie ihm die Befugnis zuzusprechen, die Urteilsformel mit der Bezeichnung der Bekl. im Bundesanzeiger bekanntzumachen.

Das LG (NJW-RR 1995, 1514 = WM 1995, 1805) hat die Klage abgewiesen. Das OLG, dessen Urteil in NJW-RR 1997, 364 = WM 1996, 2331, veröffentlicht ist, hat die Berufung des Kl. zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgte der Kl. seinen ursprünglichen Klageantrag weiter. Die Revision hatte mit Ausnahme des Antrags, dem Kl. die Veröffentlichungsbefugnis nach § 18 AGBG einzuräumen, Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Das BerGer. hat einen Unterlassungsanspruch des Kl. verneint. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt:

Es handele sich bei der angegriffenen Regelung um eine preisregelnde Vertragsklausel, die gem. § 8 AGBG nicht der Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz unterliege. Hinsichtlich der Verwaltung des Freistellungsauftrags fehle es an einer gesetzlichen Regelung zur Bestimmung von Preis und Leistung. Die Erteilung des Freistellungsauftrags sei ein entgeltpflichtiger Vorgang, die Bekl. erfülle insoweit nicht eine eigene gesetzliche Verpflichtung gegenüber den Kunden, insbesondere ergebe sich eine solche nicht aus dem Zinsabschlagsgesetz. Die Bekl. könne im Privatrechtsweg die Kosten der Steuerverwaltung, deren Ersatz ihr der Staat ohne Verletzung des Art. 12 GG vorenthalte, auf ihre Kunden abwälzen. Wenn dies im vergleichbaren Lohnsteuerabzugsverfahren dem Arbeitgeber gegenüber seinem Arbeitnehmer möglicherweise verwehrt sei, so treffe das auf das Verhältnis der Bank zu ihrem Kunden nicht zu.

Selbst wenn von der Kontrollfähigkeit der angegriffenen Klausel auszugehen sei, halte diese einer Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG stand. Sie weiche nicht von wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung ab, da es an einem gesetzlichen Leitbild fehle, das der Bekl. die Unentgeltlichkeit der Bearbeitung des Freistellungsauftrags vorschreibe. Die Klausel benachteilige die Kunden der Bekl. auch nicht unangemessen. Die Besorgung der steuerlichen Angelegenheit diene in erster Linie den finanziellen Eigeninteressen der Kunden, die hierdurch einen Zinsvorteil erlangten. Dagegen spreche auch nicht das wirtschaftliche Interesse der Bekl. am Verbleib der freigestellten Zinsbeträge auf den Kundenkonten, zumal der Kunde diese Beträge auch ohne Einflußmöglichkeit der Bekl. vom Konto nehmen könne.

II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung in wesentlichen Punkten nicht stand.

1. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des BerGer. § 8 AGBG beschränkt die Inhaltskontrolle nach §§ 9-11 AGBG auf Klauseln, die von Rechtsvorschriften abweichen oder diese ergänzen. Da die Vertragsparteien nach dem im Bürgerlichen Recht geltenden Grundsatz der Privatautonomie Leistung und Gegenleistung grundsätzlich frei bestimmen können, unterliegen AGB-Klauseln, die Art und Umfang der vertraglichen Hauptleistungspflicht und den dafür zu zahlenden Preis unmittelbar regeln, nicht der Inhaltskontrolle. Kontrollfähig sind dagegen (Preis-)Nebenabreden, das heißt Abreden, die zwar mittelbar Auswirkungen auf Preis und Leistung haben, an deren Stelle aber, wenn eine wirksame vertragliche Regelung fehlt, dispositives Gesetzesrecht treten kann (BGHZ 124, 254 (256) = NJW 1994, 318 = LM H. 4/1994 § 8 AGBG Nr. 22; Senat, NJW 1996, 2032 = LM H. 9/1996 § 8 AGBG Nr. 25 = WM 1996, 1080 (1082)). Dabei sind unter Rechtsvorschriften i.S. von § 8 AGBG nicht nur Gesetzesvorschriften im materiellen Sinn zu verstehen, sondern auch allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze und das Abweichen von wesentlichen Rechten und Pflichten, die sich aus der Natur des jeweiligen Vertragsverhältnisses ergeben (BGHZ 93, 358 (363) = NJW 1985, 3013 = LM § 8 AGBG Nr. 8).

2. Entgegen der Ansicht des BerGer. steht einer Inhaltskontrolle der beanstandeten Entgeltklausel § 8 AGBG nicht entgegen. Der Verwender der AGB kann nach allgemeinen Grundsätzen Entgelte nur für Leistungen verlangen, die er auf rechtsgeschäftlicher Grundlage für den einzelnen Kunden erbringt. Jede Entgeltregelung, die sich nicht auf eine solche Leistung stützt, sondern die Aufwendung für die Erfüllung gesetzlich begründeter eigener Pflichten des Verwenders abzuwälzen versucht, stellt deshalb eine Abweichung von Rechtsvorschriften dar. Der BGH hat sich demgemäß bisher in ständiger Rechtsprechung (BGHZ 114, 330 (383) = NJW 1991, 1953 = LM § 369 BGB Nr. 1; BGHZ 124, 254 (256ff.) = NJW 1994, 318 = LM H. 4/1994 § 8 AGBG Nr. 22; Senat, NJW 1996, 2032 = LM H. 9/1996 § 8 AGBG Nr. 25 = WM 1996, 1080 (1082)) durch § 8 AGBG nicht gehindert gesehen, Preisklauseln daraufhin zu überprüfen, ob ihnen eine echte (Gegen-)Leistung zugrundeliegt. Die Einstellung von Entgeltklauseln in ein Regelwerk, das Preise für Einzelleistungen bei der Abwicklung eines Vertrags festlegt, macht die einzelne Klausel nicht zum jeder Kontrolle entzogenen unselbständigen Bestandteil einer Preisabsprache.

3. Nicht gefolgt werden kann auch der Ansicht des BerGer., die hier streitige Klausel halte der danach eröffneten Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG stand. Die Berechnung eines Entgelts für die Verwaltung von Freistellungsaufträgen ist vielmehr mit wesentlichen Grundgedanken der Rechtsordnung nicht vereinbar (§ 9 II Nr. 1 AGBG) und benachteiligt die betroffenen Kapitalanleger in unangemessener Weise (§ 9 I AGBG).

a) Mit der den Gegenstand der Vergütungsregelung bildenden Verwaltung von Freistellungsaufträgen erfüllt die bekl. Bank eine ihr vom Staat im öffentlichen Interesse auferlegte Pflicht.

aa) Das Zinsabschlagsgesetz (Gesetz zur Neuregelung der Zinsbesteuerung vom 9. 11. 1992, BGBl I, 1853) modifiziert die vertragliche Pflicht des Kreditinstituts zur Auszahlung der Kapitalerträge an den Kunden insoweit, als es den Steuerabzug einzubehalten und an den Staat abzuführen hat. Die Kreditinstitute werden dadurch - ähnlich wie die Arbeitgeber beim Lohnsteuerabzug oder bei der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen und wie Versicherungsunternehmen bei der Einbehaltung der Versicherungssteuer - zur unentgeltlichen Einziehung von Steuern und damit zur Erfüllung staatlicher Aufgaben herangezogen (vgl. BVerfGE 22, 380 (383ff.) = NJW 1968, 347). Ob die damit für sie verbundene zusätzliche finanzielle Belastung noch angemessen und zumutbar ist, ist eine verfassungsrechtliche Frage, die die Wirksamkeit der diese Pflichten begründenden Steuernormen betrifft (BVerfGE 22, 380 = NJW 1968, 347). Das Verhältnis der Kreditinstitute zu ihren Kunden wird dadurch nicht tangiert.

bb) Die Verpflichtung zum Einzug der Kapitalertragssteuer umfaßt die Prüfung der Voraussetzungen für die Einbehaltung und Abführung. Sie schließt deshalb die Entgegennahme und Beachtung von Freistellungsaufträgen ein.

Freistellungsaufträge dienen der Verwaltungsvereinfachung. Durch sie soll verhindert werden, daß Steuern abgeführt werden, die später zu erstatten sind. Eine Einschränkung des Steuerabzugs war schon deshalb erforderlich, weil die zunächst festgelegten hohen Sparerfreibeträge von 6100/12200 DM über 80 % der bis dahin steuerpflichtigen Kapitalanleger von der Besteuerung ihrer Kapitalerträge freistellen (vgl. Giloy, FR 1992, 605). Der zu diesem Zweck geschaffene Freistellungsauftrag wird im Gesetz ebenso behandelt wie die bereits vor Inkrafttreten des Zinsabschlagsgesetzes zulässige Nichtveranlagungsbescheinigung (§ 44a II 1 EStG); das Kreditinstitut hat bei Vorlage von einem Steuerabzug abzusehen. Nach dem klaren Gesetzeswortlaut ist die Vorlage dieser Vordrucke tatbestandliche Voraussetzung für „die Abstandnahme vom Steuerabzug“, nicht etwa - wie die mißverständliche Bezeichnung „Freistellungsauftrag“ nahelegen könnte - die Inanspruchnahme einer Dienstleistung des Kreditinstituts durch den Kapitalanleger. Dem Kreditinstitut steht es nicht frei, den „Auftrag“ abzulehnen; eine rechtsgeschäftliche Annahme scheidet deshalb aus. Das dem Anleger durch die Möglichkeit der Stellung eines Freistellungsauftrags eingeräumte Wahlrecht ist rein steuerrechtlicher Natur.

b) Nach dispositivem Gesetzesrecht hat jeder Rechtsunterworfene die Aufwendungen, die ihm durch die Erfüllung seiner dem Staat gegenüber bestehenden Pflichten erwachsen, als Teil seiner Gemeinkosten selbst zu tragen. Er kann sie nicht unter Berufung auf das Verursacherprinzip offen auf Dritte abwälzen, indem er die ihm durch staatliche Organe aufgebürdeten Verwaltungsaufgaben in AGB zu individuellen Dienstleistungen gegenüber denjenigen erklärt, die unmittelbar oder mittelbar daraus Nutzen ziehen. Vielmehr muß er wie jeder andere diese Gemeinkosten durch die im freien Wettbewerb erzielbaren Leistungspreise erwirtschaften. § 354 I HGB ändert daran nichts; er setzt voraus, daß einem anderen Geschäfte besorgt oder Dienste geleistet werden. Diese Grundsätze gehören zu den wesentlichen Grundgedanken unserer Rechtsordnung. Ihre Nichtbeachtung stellt einen Verstoß gegen § 9 II Nr. 1 AGBG dar.

c) Die Entgeltklausel benachteiligt die betroffenen Kapitalanleger auch unangemessen. Sie bürdet dem einzelnen Kunden Kosten auf, die der Bekl. als staatlicher Zahlstelle (Giloy, FR 1992, 605) entstehen. Ihm wird abverlangt, das im Auftrag des Staates handelnde Kreditinstitut dafür zu entlohnen, daß es von der Einbehaltung und Abführung einer nicht geschuldeten Steuer absieht und dem Staat die erheblichen Kosten für die Erstattung erspart. Das steht im übrigen in deutlichem Gegensatz zu dem Grundsatz, daß der Staat für die Berechnung der Steuern und für die Prüfung von Steuerbefreiungstatbeständen kein Entgelt verlangt. Daran ist auch für die Bereiche festzuhalten, in denen sich der Fiskus bei der Steuereinziehung im Interesse der Allgemeinheit privater Unternehmer bedient.

Ob das von der bekl. Bank berechnete Entgelt den einzelnen Kunden mehr oder weniger stark belastet, ist im Rahmen der Verbandsklage nach §§ 13ff. . AGBG, die dem Rechtsverkehr im ganzen dient, belanglos (BGHZ 124, 254 (260) = NJW 1994, 318 = LM H. 4/1994 § 8 AGBG Nr. 22). Es darf auch nicht außer Betracht gelassen werden, daß das Freistellungsentgelt die Kapitalanleger mit geringeren Zinserträgen besonders empfindlich trifft und eine große Zahl von Bürgern, die Zinserträge bei mehreren Kreditinstituten - etwa bei ihrer Hausbank und ihrer Bausparkasse - erzielen, die Gebühren mehrfach entrichten müßten, während ein nicht unerheblicher Teil der so ersparten Steuerabzüge auf den Konten der Kreditinstitute verbleibt und deren Erträge erhöht.

4. Der Antrag des Kl., ihm gem. § 18 AGBG die Befugnis zur Veröffentlichung der Urteilsformel zuzusprechen, ist unbegründet. Eine Bekanntmachung ist unter Berücksichtigung des für sich gesehen wenig aussagekräftigen Urteilstenors zur Beseitigung der Störung, die durch die streitige Gebührenklausel eingetreten ist, wenig geeignet und nicht erforderlich. Eine ausreichende Publizität der Entscheidung ist ohnehin gewährleistet (vgl. BGHZ 124, 254 (262) = NJW 1994, 318 = LM H. 4/1994 § 8 AGBG Nr. 22).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 II ZPO. Der Antrag auf Bewilligung einer Veröffentlichungsbefugnis, mit dem der Kl. unterlegen ist, ist im Verhältnis zur Unterlassungsklage geringfügig und hat keine zusätzlichen Kosten verursacht.

Rechtsgebiete

Bank-, Finanz- und Kapitalanlagerecht

Normen

AGBG §§ 8, 9