Keine Erstattung der Kosten für ohne Rezept selbstbeschaffte Arzneimittel

Gericht

BSG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

19. 11. 1996


Aktenzeichen

1 RK 15/96


Leitsatz des Gerichts

Die Kosten für ein selbstbeschafftes Arznei- oder Heilmittel sind von der Krankenkasse nicht zu erstatten, wenn es nicht ärztlich verordnet ist.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. ist Mitglied der bekl. Ersatzkasse. Wegen ihrer Neurodermitis beschaffte sie sich im September 1993 verschiedene Cremes des Herstellers G zum Preis von insgesamt 934,05 DM und beantragte mit am 11. 10. 1993 bei der Bekl. eingegangenem Schreiben die Kostenübernahme; im beigefügten Attest bat der Hausarzt um wohlwollende Prüfung. Mit Bescheid vom 7. 12. 1993 lehnte die Bekl. die Kostenübernahme ab, weil es sich nicht um Arzneimittel i.S. des § 31 SGB V handle. Mit ihrem Widerspruch beantragte die Kl., die Kosten der von ihr verwendeten G-Produkte beginnend ab dem Datum des Antragsschreibens vom 4. 10. 1993 für die Zukunft zu übernehmen. Auch im Widerspruchsbescheid vom 10. 8. 1994 blieb die Bekl. bei ihrer Auffassung, daß die fraglichen Cremes als Kosmetika nicht verordnungsfähig seien. Im Klageverfahren hat die Kl. neben der Aufhebung der ablehnenden Bescheide beantragt, die Kosten für die G-Präparate „rückwirkend ab Oktober 1993 und für die Zukunft“ zu erstatten.

Das SG hat die Bekl. verurteilt, „die Kosten für die 'G-Pflegecreme' und die 'G-Pflegecreme intensiv' dem Grunde nach zu erstatten“, und im übrigen die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Bekl. hat das LSG die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Die Revision der Kl. blieb erfolglos.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. ... Materiell-rechtlich scheitert der Klageanspruch an der fehlenden ärztlichen Verordnung der G-Cremes; ohne Verordnung ist deren medizinische Notwendigkeit nicht belegt.

Da die Kl. sich die Cremes selbst beschafft hat, ist einzig denkbare Anspruchsgrundlage § 13 III SGB V, wonach die Kosten zu erstatten sind, die für vom Versicherten selbstbeschaffte notwendige Leistungen dadurch entstehen, daß die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann oder eine Leistung rechtswidrig abgelehnt hat. In § 13 I SGB V ist ausgesprochen, daß der Anspruch auf Kostenerstattung an die Stelle des Anspruchs auf die Sachleistung tritt. Ein entsprechender Sachleistungsanspruch der Kl. kann grundsätzlich nur dadurch begründet werden, daß ein Vertragsarzt das Arznei- oder Heilmittel (hier: die fraglichen Cremes) auf Kassenrezept verordnet und damit die Verantwortung für die Behandlung übernimmt. Denn die §§ 31 , 32 SGB V begründen keine unmittelbar durchsetzbaren Ansprüche auf „Versorgung“ schlechthin mit irgendwelchen Arznei- oder Heilmitteln, sondern ausfüllungsbedürftige Rahmenrechte. Der Versicherte kann ein bestimmtes Mittel erst beanspruchen, wenn es ihm in Konkretisierung des gesetzlichen Rahmenrechts vom Vertragsarzt als ärztliche Behandlungsmaßnahme verschrieben wird (vgl. BSG, Urt. v. 24. 9. 1996 - 1 RK 26/95; BSG, SozR 3-2500 § 39 Nr. 3, auch für BSGE vorgesehen; BSGE 73, 271 (278ff.) = SozR 3-2500 § 13 Nr. 4, S. 16ff..). Das ist in § 73 II Nr. 7 SGB V dadurch klargestellt, daß alle ärztlichen Verordnungen zum Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung erklärt werden; nur in deren Rahmen sind die gesetzlichen Krankenkassen zur Versorgung ihrer Versicherten mit entsprechenden Mitteln verpflichtet. Dem entspricht Nr. 4 der auf Grund von § 92 I 2 Nr. 6 SGB V erlassenen Arzneimittel-Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, ohne daß zu entscheiden ist, ob allein wegen dieser Bestimmung der Anspruch ausgeschlossen wäre (für eine Verbindlichkeit der Richtlinien nach § 92 I 2 Nr. 5 SGB V in diesem Sinne: BSGE 78, 70 = NJW 1997, 823 L). Daß der Anspruch auf Versorgung mit Arznei- oder Heilmitteln von einer ärztlichen Verordnung abhängig ist, ergibt sich bereits aus dem Gesetz im systematischen Zusammenhang des § 15 I, der §§ 31, 32 und des § 73 II Nr. 7 SGB V .

Für den Kostenerstattungsanspruch nach § 13 III SGB V gilt grundsätzlich nichts anderes: Das Recht zur Selbstbeschaffung reicht nur so weit, wie es zur Überwindung der den Anspruch begründenden Lücke in der Versorgung des Versicherten (Systemversagen) erforderlich ist. Der Senat hat entschieden, daß der Versicherte nach § 13 III SGB V keine Kosten erstattet bekommt, die ihm auch ohne die Ablehnung der Krankenkasse entstanden wären (BSG, NJW 1997, 1661; vgl. auch BSGE 73, 271 (290) = SozR 3-2500 § 13 Nr. 4, S. 29f..). Da sich der Versicherte ohne ärztliche Bestätigung der Notwendigkeit mit Arznei- oder Heilmitteln zu Lasten der Krankenkasse nicht versorgen kann, ist die ärztliche Verordnung auch im Rahmen des § 13 III SGB V erforderlich. Zwar kann im Rahmen der Voraussetzung 1 bei einer „unaufschiebbaren Leistung" unter Umständen nicht verlangt werden, daß die Verordnung von einem zugelassenen Vertragsarzt ausgestellt ist (vgl. § 76 I 2 SGB V ); auch bei der Voraussetzung 2 (rechtswidrige Leistungsablehnung) kann auf der Verwendung eines Rezeptformulars der gesetzlichen Krankenkassen nicht bestanden werden, weil das angebliche Systemversagen gerade darin besteht, daß die Sachleistung nicht erbracht und deshalb ein Kassenrezept nicht ausgestellt werden darf. Eine ärztliche Verordnung muß jedoch in jedem Fall der Kostenerstattung vorliegen. Nach dem letzten Halbsatz des § 13 III SGB V muß die Leistung „notwendig“ gewesen sein. Bei den hier in Frage stehenden Behandlungsmaßnahmen liegt eine notwendige Leistung nur vor, wenn sie vor der Beschaffung vom behandelnden Arzt verordnet ist. Andernfalls würden die Versicherten beim Versagen des Leistungssystems besser gestellt als bei ordnungsgemäßer Abwicklung: Trotz seines Ausnahmecharakters würde § 13 III SGB V nicht nur eine Leistungspflicht außerhalb des Rahmens der vertragsärztlichen Versorgung begründen, sondern außerdem den Grundsatz des Arztvorbehalts durchbrechen und die Behandlung ganz von der ärztlichen Verantwortung freistellen (vgl. nochmals § 15 I SGB V).

Dabei kann offenbleiben, ob das BSG das Erfordernis der ärztlichen Verordnung in der Rechtsprechung zur Reichsversicherungsordnung (stillschweigend) anders beurteilt und deshalb eine Leistungspflicht auch in Fällen erörtert hat, in denen eine ärztliche Verordnung nicht vorlag oder nicht festgestellt war (vgl. BSG, SozR 2200 § 182 Nr. 88; BSGE 63, 99 = SozR 2200 § 182 Nr. 109; ; BSGE 72, 252 = NJW 1993, 3018 = SozR 3-2200 § 182 Nr. 17). . Denn diese Rechtsprechung ist durch die gesetzliche Festlegung der Voraussetzungen des Kostenerstattungsanspruchs in § 13 III SGB V und durch die darauf aufbauende neuere Rechtsprechung zum ausfüllungsbedürftigen Rahmenrecht überholt.

Der Rechtsstreit braucht nicht zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen zu werden (vgl. BSGE 58, 49 (51) = SozR 1300 § 45 Nr. 15, S. 38). . Eine ärztliche Verordnung zugunsten der Kl. liegt nicht vor. Zwar beziehen sich die entsprechenden Feststellungen des LSG auf die im September 1993 beschafften Cremes, die nicht Streitgegenstand sind. Wie jedoch dem eigenen Vorbringen der Kl. im Revisionsverfahren zu entnehmen ist, hat der sie behandelnde Arzt auch später kein Rezept ausgestellt. Die vollständig vorgelegten Belege der Kl. enthalten lediglich die Verschreibung eines Heilpraktikers vom 3. 9. 1993, die sich überdies nicht auf G-Cremes bezieht. Die Rechnungen der Vertragspartner der Kl. (Hersteller und Apotheken) bieten keine Anhaltspunkte dafür, daß eine ärztliche Verordnung vorgelegen hat. Das der Bekl. eingereichte ärztliche Attest mit der Bitte um „wohlwollende Prüfung der Kostenübernahme“ ist keine Verordnung; nach seinem Inhalt und nach den übrigen Umständen des Falles sieht der Senat keinen Grund, ausnahmsweise vom Erfordernis der ärztlichen Verordnung abzusehen.

Rechtsgebiete

Sozialrecht

Normen

SGB V §§ 13 III, 27 I 2 Nr. 3, 31, 32, 73 II Nr. 7, 92 I 2 Nr. 6