Vormerkung einer Berücksichtigungszeit wegen Pflege

Gericht

BSG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

12. 05. 1998


Aktenzeichen

B 5/4 RA 6/97 R


Leitsatz des Gerichts

  1. Die Berücksichtigungszeit wegen Pflege setzt eine Pflege in häuslicher Umgebung voraus.

  2. Häusliche Pflege liegt innerhalb einer Einrichtung nur vor, wenn der Aufenthalt des Pflegebedürftigen vom Zweck her auf die Begründung eines eigenen Haushalts gerichtet ist. Daran mangelt es in einer Rehabilitationseinrichtung, so daß keine häusliche Pflege vorliegt, wenn ein Angehöriger des Pflegebedürftigen sich an der stationären Pflege beteiligt.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Streitig ist, ob die Kl. von der Bekl. die Vormerkung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege für dieMonate Juli 1992 bis einschließlich Juli 1993 verlangen kann.

Der Ehemann der Kl. erlitt im Juni 1991 eine Gehirnblutung und wurde wegen der Folgen dieser Erkrankung ab 22. 10. 1991 im Rehabilitationszentrum B. behandelt. Die Kl., die bis Ende November 1991 ganztägig erwerbstätig war, reduzierte ihre Erwerbstätigkeit ab Dezember 1991 auf 20 Stunden wöchentlich und hieltsich seit der Aufnahme ihres Ehemannes in das Therapiezentrum dort fast täglich auf. Sie betreute ihren Ehemann und unterstützte pflegerisch die erforderliche Behandlung. Nach einer Bescheinigung des Therapiezentrums hatte die häufige Anwesenheit eine positive Auswirkung auf die Hirnleistung ihres Ehemannes. Die Fahrkosten sowie der Nettoverdienstausfall der Kl. wurden von der zuständigen Krankenkasse erstattet. Ab 3. 8. 1993 pflegte die Kl. ihren Ehemann zu Hause. Von diesem Zeitpunkt an merkte die Bekl. Berücksichtigungszeiten wegen Pflege vor (Bescheid vom 25. 8. 1993). Dagegen lehnte sie den Antrag der Kl. auf Vormerkung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege für die Zeit ab Dezember1991 ab.

Klage, Berufung und Revision hinsichtlich der streitig gebliebenen Vormerkung von Berücksichtigungszeiten wegen Pflege für die Monate Juli 1992 bis einschließlich Juli 1993 sind erfolglos geblieben.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Das Begehren der Kl. scheitert nicht bereits an einem fehlenden Rechtsschutzinteresse.Zwar hat die Kl. aufgrund ihrer Teilzeitbeschäftigung von wöchentlich 20 Stunden im streitigen Zeitraum Beitragszeiten zurückgelegt, so daß mit der daneben begehrten Vormerkung von Berücksichtigungszeiten möglicherweise kein die spätere Rente steigernder Vorteil verbunden ist (§ 70 I,§ 71 III 1 SGB VI in der bis 30. 6. 1998 geltenden Fassung). Dieser Umstand steht dem Vormerkungsverfahren aber nicht entgegen, weil dieses (nur) die verbindliche Feststellung von rentenrechtlich relevanten Tatsachen beinhaltet,ohne hierbei eine Aussage über deren Bewertung bei einer später eventuell zu beanspruchenden Rente zu treffen (§ 149 V 3 SGB VI).

In der Sache selbst kann die Kl. jedoch nicht durchdringen. Gemäß § 149 I und V 1 SGB VI hat der zuständigeRentenversicherungsträger die Daten, die für die Durchführung der Versicherung sowie die Feststellung und Erbringung von Leistungen einschließlich der Rentenauskunft erforderlich sind, in einem Versicherungskonto zu speichern und nach deren Klärung durch Bescheid verbindlich festzustellen. Zu den Daten gehören ua die rentenrechtlichen Zeiten (§ 54 I SGB VI), hier eine Berücksichtigungszeit wegen Pflege (§ 54 I Nr 3 SGB VI iVm § 249b Satz 1 Nr 1 SGB VI). Die Voraussetzungen einer solchen rentenrechtlichen Zeit liegen jedoch nicht vor. Die Kl. hat im streitigen Zeitraum keine Pflege in „häuslicher„ Umgebung bzw „häusliche„ Pflege geleistet.

Nach § 249b S. 1 Nr 1 SGB VI sind Berücksichtigungszeiten „auch Zeiten der nicht erwerbsmäßigen Pflege eines Pflegebedürftigen in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum31. März 1995„, solange die Pflegeperson ua wegen der Pflege berechtigt war Beiträge zu zahlen oder die Umwandlung von freiwilligen Beiträgen in Pflichtbeiträge zu beantragen. Das letztgenannte Antragsrecht ist in § 279e SGB VI geregelt. Nach dessen Abs 1 gelten freiwillige Beiträge vonPflegepersonen für Zeiten der in der Zeit vom 1. 1. 1992 bis zum 31. 3. 1995 ausgeübten „nicht erwerbsmäßigen häuslichen„ Pflege unter näher beschriebenen Voraussetzungen als Pflichtbeiträge. Darüber hinaus regelt in allgemeiner Fassung § 3 S. 1 Nr 1a SGB VI, daß Versicherungspflicht fürPersonen in der Zeit besteht, „in der sie einen Pflegebedürftigen . . . nicht erwerbsmäßig wenigstens 14 Stunden wöchentlich in seiner häuslichen Umgebung pflegen (nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen) . . .„. § 249b SGB VI wurde zwar - wie auch § 3 S. 1 Nr 1a und § 279e SGB VI - erst mit Wirkung vom 1. 4. 1995 durch das PflegeVG (BGBlI S 1014) eingeführt. Die Vorschrift ist aber gleichwohl im vorliegenden Fall maßgebend, weil sie die im Zeitpunkt der Antragstellung und streitigen Pflege geltenden Regelungenabgelöst hat und ausdrücklich für den Zeitraum vom 1. 1. 1992 bis zum 31. 3. 1995 Anwendung finden soll. Da hiermit keine inhaltliche Änderung gegenüber dem bis zur Aufhebung des § 177 SGB VI vorhandenen Rechtszustand verbunden ist, ergibt sich für die Kl. keine unzulässige rückwirkende Belastung (BSG Urt. v. 18. 7. 1996 - 4 RA 25/95 - SozR 3-2600 § 249b Nr 1).

Allerdings ist das Tatbestandsmerkmal einer Pflege in„häuslicher„ Umgebung oder „häuslichen„ Pflege in § 249b S. 1 Nr 1 SGB VI nicht ausdrücklich genannt, sondern nur in § 3 S. 1 Nr 1a SGB VI bzw § 279e I SGB VI aufgeführt. Die Auslegung der Vorschrift ergibt aber, daßauch bei ihr eine Pflege in „häuslicher„ Umgebung oder „häusliche„ Pflege erforderlich ist. Da diese Vorschrift ua die Berechtigung zur Beitragszahlung oder Beantragung einerUmwandlung von freiwilligen Beiträgen in Pflichtbeiträge verlangt, knüpft sie in ihrem Regelungsgehalt an § 3 S. 1 Nr 1a SGB VI und § 279e I SGB VI an, in denen die genannten Begriffe als Tatbestandsmerkmal enthalten sind.Berücksichtigt man zusätzlich, daß § 3 S. 1 Nr 1a SGB VI in der Klammerdefinition das Wort „häuslich„ weggelassen hat, also eine der sprachlichen Fassung des § 249b S. 1 Nr 1SGB VI gleichartig kurze Formulierung verwendet, ist es gerechtfertigt, ebenfalls für § 249b S. 1 Nr 1 SGB VI als Voraussetzung für die Anerkennung von Berücksichtigungszeiten eine Pflege in „häuslicher„ Umgebung oder „häusliche„ Pflege zu verlangen (so auch Niesel in KassKomm,Stand: Januar 1998, § 249b SGB VI RdNr 8; Boecken in Wannagat, SGB-Komm, Stand: Juli 1997, § 249b SGB VI RdNr 5).

Zu diesem Ergebnis führen auch rechtssystematische Erwägungen: Für den Begriff der häuslichen Pflege wird inanderen Zweigen der Sozialversicherung zwischen häuslicher und stationärer Pflege unterschieden. In der Krankenversicherung regelt § 37 SGB V die häusliche Krankenpflege im Haushalt des Versicherten oder seiner Familie, die von der stationären Krankenhausbehandlung abgegrenzt ist (§ 39 SGB V). Vor Einführung des PflegeVG leistete die gesetzliche Krankenversicherung im Falle der Schwerpflegebedürftigkeit Versicherten in ihrem Haushaltoder dem ihrer Familie häusliche Pflegehilfe (§ 53f SGB V, aufgehoben durch Art 4 Nrn 3 und 4 PflegeVG - BGBl I S 1014). Die häusliche Pflegehilfe bezweckte damals bereits die Entlastung der Krankenhäuser von Fehlbelegungen durch Pflegefälle (BT-Drucks 11/2237, S 182). Deshalb setzten die §§ 53 , 55 SGB V ausdrücklich den Aufenthalt des Pflegebedürftigen im häuslichen Bereich voraus. Das PflegeVG, das für Fälle ohne Behandlungsbedürftigkeit (vgl § 14 SGB XI) seit dem 1. 1. 1996 Leistungenbei Pflege im häuslichen Bereich gewährt und Leistungen bei stationärer Pflege unterscheidet (§ 1 V und § 4 II 1 SGB XI) greift ebenfalls den Häuslichkeitsbegriff auf. Sosind gemäß § 19 Satz 1 SGB XI Pflegepersonen iS des Gesetzes jene, die nicht erwerbsmäßig einen Pflegebedürftigen iS des § 14 SGB XI in seiner häuslichen Umgebung pflegen. Nach der Legaldefinition des § 36 I SGB XI liegt häusliche Pflege vor, wenn Pflegebedürftige in ihremHaushalt oder in einem anderen Haushalt, in dem sie aufgenommen werden, gepflegt werden. Gesetzgeberisches Ziel war es, der häuslichen Pflege den Vorrang vor der stationären Unterbringung zu geben, um den Pflegebedürftigen ein Leben in vertrauter Umgebung zu ermöglichen (BT-Drucks 12/5262, S 111). Da der Begriff einerstationären Pflege im SGB VI keine eigenständige Bedeutung hat, kann § 249b SGB VI auch im Gesamtzusammenhang mit den Vorschriften des SGB V und SGB XI nur so verstanden werden, daß die Anerkennung einer Berücksichtigungszeit wegen Pflege die „häusliche„ Pflege voraussetzt.

Nach den Feststellungen des LSG, die nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffen und somit für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), hat die Kl. im streitigen Zeitraum für ihren Ehemann keine „häusliche„ Pflege geleistet. Der Begriff der „häuslichen„ Pflege wird im SGB VInicht definiert. In der Krankenversicherung wurde der Begriff der „häuslichen„ Pflege, solange die §§ 53ff SGB V noch in Kraft waren, weit ausgelegt. Für die „häusliche„ Pflege wurde darauf abgestellt, ob der Pflegebedürftige inseiner „Wohnung„ eine hauswirtschaftliche Versorgung erhielt. Dies wurde auch bejaht, wenn der Pflegebedürftige sich außerhalb einer eigenen Wohnung aufhielt, in einer sog. Altenwohnung oder einem Altenwohnheim wohnteund sich dort hauswirtschaftlich teilweise selbst versorgte. Verneint wurde eine „häusliche„ Pflege, wenn der Pflegebedürftige in einem Altenpflegeheim oder einem Altenheim untergebracht war, weil er dort voll versorgt wurde (Gemeinsames Rundschreiben der Spitzenverbände derKrankenkassen, DOK 1991, 53, 54; Vay in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, Stand: Dezember 1997, § 37 SGB V RdNr 3; Maschmann, SGb 1993, 453, 459 und NZS 1993, 153, 158; Allemeyer, ZfSH/SGB 1995, 181, 184; Töns, BKK 1986, 273, 275).Im Bereich der Pflegeversicherung wird häusliche Pflege nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Pflegebedürftige in einem Altenheim, Altenwohnheim, Wohnheim für Behinderte oder einer vergleichbaren Wohneinrichtung wohnt(BT-Drucks 12/5262, S 112). Der Häuslichkeitsbegriff hat dort eine Erweiterung vom strengen Wortlaut des § 36 I SGB XI her gefunden und dient vor allem der Abgrenzung zur (voll-)stationären Pflege, dh der Unterbringungdes Pflegebedürftigen in einer Pflegeeinrichtung nach § 71 II SGB XI (Leitherer in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd 4, Pflegeversicherungsrecht, 1997, § 16 RdNr 14). Zur Abgrenzung wird verlangt, daß demPflegebedürftigen in einer Einrichtung außerhalb seiner eigenen Wohnung ein gewisses Maß an eigenverantwortlicher Lebensführung bei den lebensnotwendigen Verrichtungen wie Ernährung, Körperpflege oder Schlaf verbleibt (Mrozynski, SGb 1995, 105, 110) oder er zumindest dieMöglichkeit hat, seinen Haushalt selbst zu führen, dh nach dem Heimvertrag nicht verpflichtet ist, sämtliche Leistungen (insbesondere hauswirtschaftliche Versorgung, Verpflegung und Pflegeleistungen) ausschließlich von der Einrichtung in Anspruch zu nehmen. Wenn der Pflegebedürftige allerdings verpflichtet ist, alle Versorgungsleistungen der(stationären) Einrichtung in Anspruch zu nehmen, ist eine eigene Haushaltsführung ausgeschlossen (Neumann in Schulin, aaO, § 20 RdNr 18; Udsching, SGB XI/SozialePflegeversicherung, 1995, § 36 RdNr 4).

Ebenso wie bei den Voraussetzungen einer „häuslichen„ Pflege im Bereich der Kranken- und Pflegeversicherung kommt es nach der Auffassung des Senats auch für die Erfüllung der Voraussetzung einer „häuslichen„ Pflege iS von§ 249b I Nr 1 SGB VI nicht entscheidend auf die äußeren Umstände des Aufenthaltes wie beispielsweise die Art der Unterbringung oder das Wohnen in eigenen Einrichtungsgegenständen an. Der Senat hält es allerdings nicht für allein entscheidend, ob der Pflegebedürftige in einer stationären Einrichtung tatsächlich eine sog Rundumversorgunggenießt oder rechtlich die Möglichkeit hat, zum Haushalt gehörende Verrichtungen selbst zu erledigen oder deren Erledigung durch Hilfe von außen zu organisieren. Maßgeblich ist vielmehr jedenfalls für den Bereich der Rentenversicherung vor allem auch die Zweckrichtung des Aufenthaltes in der Einrichtung oder anders ausgedrückt: dieTendenz, die mit dem dortigen Aufenthalt verbunden ist. Nur wenn unter diesen Gesichtspunkten verständigerweise von der Begründung eines eigenen Haushalts gesprochenwerden kann, kann die darin enthaltene Pflege als „häusliche„ Pflege gewertet werden. Im vorliegenden Fall hat das LSG bindend festgestellt, daß der Ehemann der Kl. sich zur stationären Behandlung in einem Rehabilitationszentrum (Therapiezentrum) befunden hat. Bei diesem Aufenthalt handelt es sich um eine Maßnahme zur Wiedererlangung der Gesundheit, die von der Kl. - nur - pflegerisch unterstützt wurde. Der Ehemann der Kl. war nach§ 107 II SGB V in eine Rehabilitationseinrichtung aufgenommen worden und erhielt dort stationäre Behandlung mit Unterkunft und Verpflegung (§ 40 II SGB V), während der Kl. als Gegenleistung für ihren Pflegeanteil folgerichtig von der Krankenversicherung die Fahrtkosten von ihrem Wohnort zum Therapiezentrum und der Verdienstausfall erstattet wurden. Die auf den von der Krankenversicherung gemäß § 27 I SGB V erfaßten Gesundungszweck gerichtete Maßnahme war von Anfang an lediglich auf eine vorübergehende Zeit angelegt, an deren Ende der Ehemann der Kl. wieder „nach Hause„ entlassen werden sollte. Entsprechend § 5 SGB XI war dieser Aufenthalt darauf gerichtet, als vorrangige Maßnahme einer stationärenKrankenbehandlung und Rehabilitation die spätere Pflegebedürftigkeit möglichst zu vermeiden. Von daher gesehen sollte in dem Therapiezentrum - wie in einem Krankenhaus - auch kein Haushalt des Ehemannes begründet werden. Somit unterschied sich der von der Kl. geleistete Pflegeanteil wesentlich sowohl von der Pflege eines Pflegebedürftigen im eigentlichen Sinne als auch von einer Pflege im „häuslichen„ Bereich.

Vorinstanzen

Bayer. LSG, L 1 An 30/96, 13.11.1996

Rechtsgebiete

Sozialrecht

Normen

SGB VI §§ 3, 249b, 279e