Bisky ./. FOCUS - keine Geschichtsfälschung durch FOCUS zu Hans Lauter

Gericht

LG Berlin


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

27. 05. 2004


Aktenzeichen

27 O 174/04


Leitsatz des Gerichts

  1. Bei einer negativen Feststellungsklage besteht das Feststellungsinteresse des Klägers, das grundsätzlich daran anknüpft, dass sich die Beklagten ihm gegenüber der streitgegenständlichen Ansprüche berühmen, ungeachtet einer zwischenzeitlich von den Beklagten erhobenen Leistungsklage solange fort, wie über diese Leistungsklage noch nicht streitig verhandelt wurde, diese vielmehr noch einseitig zurückgenommen werden könnte. Dies gilt auch im Falle eines erklärten Verzichts auf die Klagerücknahme.

  2. Für das Verständnis einer Äußerung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung ist diese im Zusammenhang und unter Berücksichtigung ihrer zugleich mitgeteilten Umgebung zu sehen, in die sie gestellt ist, denn es ist dieser Kontext, der ihren Inhalt prägt und damit ihr Verständnis bestimmt.

  3. Wird der Vorwurf der Geschichtsfälschung in einem Kontext erhoben, der konkrete Tatsachen zusammenfasst, dann ist er auch selbst dem Beweis zugänglich und damit als Tatsachenbehauptung anzusehen.

  4. Ist der Vorwurf der Geschichtsfälschung in einem solchen Fall sachlich nicht gerechtfertigt, so stehen den Betroffenen Unterlassungs- und Widerrufsansprüche zu.

Tenor

  1. Die Klage wird abgewiesen.

  2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

  3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Kostenbetrages zuzüglich 10 % vorläufig vollstreckbar, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages zuzüglich 10 % leistet.

Tatbestand


Tatbestand:

Der Kläger wendet sich mit einer negativen Feststellungsklage gegen die an ihn gerichtete Aufforderung der Beklagten, eine im Streit stehende Äußerung zu unterlassen und zu widerrufen. Der Kläger ist Bundesvorsitzender der PDS. Die Beklagte zu 1) verlegt die Zeitschrift "FOCUS", der Beklagte zu 2) ist Geschäftsführer der Beklagten zu 1) und Chefredakteur der Zeitschrift "FOCUS" und der Beklagte zu 3) ist als Leipziger Korrespondent für den "FOCUS" tätig.

In der Ausgabe 10/04 des "FOCUS" erschien am 1. März 2004 unter der Überschrift "Kirchensprenger für PDS" die nachfolgend wiedergegebene, vom Beklagten zu 3) verfasste Meldung, in der berichtet wurde, dass die PDS anlässlich der Wahl des Bundespräsidenten das langjährige Mitglied der SED-Bezirksleitung Leipzig, Herrn Prof. Hans Lauter, in die Bundesversammlung entsenden werde:

Hans Lauter war zwischen 1960 und 1969 Sekretär der Bezirksleitung der SED für Wissenschaft, Volksbildung und Kultur. Als Leiter der ideologischen Kommission unterzeichnete er am 13. Januar 1964 einen als Anlage K 8 in Kopie zu den Akten gereichten sogenannten "Maßnahmeplan", in dem die Öffentlichkeitsarbeit skizziert wurde, mit der für eine Beseitigung der im Krieg unversehrt gebliebenen Leipziger Universitätskirche geworben werden sollte. Ein entsprechender Beschluss wurde am 7. Mai 1968 vom Politbüro der SED gefasst und am 30. Mai 1968, dem Tag, an dem die Kirche gesprengt wurde, in die Tat umgesetzt. Mit dem als Anlage K 5 in Kopie zu den Akten gereichten Beschluss des Sekretariats der SED-Bezirksleitung Leipzig vom 8. Januar 1969 wurde Hans Lauter von seiner Funktion als Sekretär der Bezirksleitung entbunden. In der Folge wurde er zunächst außerordentlicher Professor, 1974 dann ordentlicher Professor im marxistisch-leninistischen Grundlagenstudium der technischen Hochschule Karl-Marx-Stadt.

Der PDS-Parteivorstand setzte sich gegen den in der Meldung erhobenen Vorwurf, Hans Lauter zähle zu den Hauptverantwortlichen der Sprengung der Leipziger Universitätskirche am 2. März 2004 mit folgender Presseerklärung zu Wehr:

Mit anwaltlichem Schreiben vom 5. März 2004 forderten die Beklagten den Kläger auf, eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung in Bezug auf die Behauptung abzugeben, es handele sich bei ihrer Darstellung im "FOCUS" um eine Geschichtsfälschung und diese Behauptung außerdem als unwahr zu widerrufen. Dieses Ansinnen wies der Kläger von sich. Die Beklagten erwirkten daraufhin am 11. März 2004 eine einstweilige Unterlassungsverfügung des Landgerichts München I und reichten wegen des Unterlassungs- wie des Widerrufsanspruchs Hauptsacheklage beim dortigen Gericht ein. Über diese Klage soll am 7. Juli 2004 verhandelt werden.

Die streitgegenständliche negative Feststellungsklage, mit der der Kläger den Unterlassungs- und Widerrufsanspruch der Beklagten in Abrede stellt, ist vor Zustellung der von den Beklagten erhobenen Klage am 9. März 2004 eingereicht und den Beklagten am 15. März 2004 zugestellt worden.

Der Kläger meint, dass es sich bei dem gegenüber den Beklagten erhobenen Vorwurf der Geschichtsfälschung um eine zulässige Meinungsäußerung handele. Die Kritik knüpfe daran an, dass die historische Rolle des Hans Lauter im Zusammenhang mit der Sprengung der Leipziger Universitätskirche falsch eingeschätzt worden sei, sie setze sich also mit der Meinung der Beklagten auseinander und habe deshalb auch selbst rein wertenden Charakter.

Die Sichtweise der PDS bewege sich auch nicht im luftleeren Raum, sondern könne an mannigfaltige tatsächliche Begebenheiten anknüpfen:

In Wahrheit habe Hans Lauter gegen den Abriss der Kirche opponiert und aus diesem Grund sogar sein Amt verloren. Das lasse sich dem Abberufungsbeschluss des Sekretariats der Bezirksleitung vom 8. Januar 1969 entnehmen, der die ungenügenden Ergebnisse des Hans Lauter bei der Durchführung der Hochschulreform hervorhebe. Außerdem werde auch Hans Lauter selbst bezeugen, dass er - wie er in einem im Mai 1999 in der PDS-Mitgliederzeitung "Disput" veröffentlichten und als Anlage K 6 zu den Akten gereichten Interview erklärt habe - sich nie an antichristlichen Handlungen beteiligt habe, dass ihm der enge Kontakt zu Christen in Leipzig zum Vorwurf gemacht worden sei und dass er "es zum Teil so empfinde, dass seine Ablösung als Bezirkssekretär auch auf so etwas zurückgegangen sei". Ihm sei im Zusammenhang mit der Kirchensprengung der Vorwurf gemacht worden, er habe versagt.

Mit dem von ihm unterschriebenen "Maßnahmeplan" habe er nur einen zuvor gefassten Beschluss des Politbüros umgesetzt, Eine Sprengung der Kirche sei zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht beschlossene Sache gewesen. Er habe sich sogar für den Erhalt der Kirchenschätze eingesetzt. An der späteren Beschlussfassung zur Sprengung der Kirche sei er - was unstreitig ist - gar nicht beteiligt worden. Vor diesem Hintergrund dürfe er nicht als Hauptverantwortlicher der Aktion bezeichnet werden.

Überdies sei es unzulässig, Hans Lauter ausgerechnet mit dem Ereignis um die Kirchensprengung in Verbindung zu bringen und seine Rolle als Widerstandskämpfer im Dritten Reich unerwähnt zu lassen.

Schließlich sei der Vorwurf der Geschichtsfälschung auch vor dem Hintergrund gerechtfertigt, dass der Beklagte zu 3) in Wahrheit allein die aktuelle politische Haltung der PDS im Rahmen der Debatte um einen Wiederaufbau der Paulinerkirche in Leipzig zu diskreditieren suche und nicht zu erkennen gebe, dass er sich persönlich für den Wiederaufbau dieser Kirche engagiere.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass die Beklagten keinen Anspruch darauf haben,

  1. dass sich der Kläger ihnen gegenüber verpflichtet, es zu unterlassen, in Bezug auf den Beitrag "Kirchen-Sprenger für PDS" in FOCUS Nr. 10/04, S. 16 zu behaupten und/oder verbreiten zu lassen, es handele sich um eine Geschichtsfälschung;

  2. dass der Kläger folgende Erklärung zu verbreiten hat an alle Empfänger der Pressedienst-Meldung "Der Focus auf Abwegen" vom 2.3.2004:

    "Widerruf: In einer Pressemitteilung vom 2.3.2004 habe ich in Bezug auf einen Beitrag in der Focus-Ausgabe 10/2004 über die Beteiligung von Prof. Dr. Hans Lauter an der Sprengung der Leipziger Universitätskirche am 30. Mai 1968 behauptet, dieser Artikel stelle eine Geschichtsfälschung dar. Diese Behauptung widerrufe ich hiermit als unwahr. Lothar Bisky, Vorsitzender der PDS".

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Sie halten die Klage für unzulässig, weil angesichts des in München anhängigen Hauptsacheverfahrens das Rechtsschutzbedürfnis für eine Feststellungsklage zu verneinen sei. Auf das Recht, die in München rechtshängige Klage ohne die Zustimmung der hiesigen Kläger zurückzunehmen, verzichten sie.

Überdies sei die Klage aber auch unbegründet. Die Beklagten meinen, dass der Vorwurf der Geschichtsfälschung als unwahre Tatsachenbehauptung zu qualifizieren sei. Sie hätten keineswegs ein geschichtliches Ereignis falsch dargestellt, und schon gar nicht bewusst verfälscht. Vielmehr zähle Hans Lauter tatsächlich zu den Hauptverantwortlichen der Kirchensprengung, weil er an herausgehobener Stelle damit befasst gewesen sei, die Entscheidung der Öffentlichkeit zu "verkaufen" und die Entscheidung auch mitgetragen habe. Allein schon Lauters Mitgliedschaft im Sekretariat der Bezirksleitung, das heißt dem engen Führungskreis, der die zentralen Entscheidungen für den Bezirk Leipzig zu treffen gehabt habe, rechtfertige es, ihn dafür gerade stehen zu lassen. Entgegen der Behauptung des Klägers, Lauter habe gegen die Kirchensprengung opponiert, habe dieser in dem zitierten Interview mit der PDS-Mitgliederzeitschrift "Disput" eingeräumt, seine (angeblichen) inneren Vorbehalte seinerzeit nicht offen und ehrlich vorgetragen zu haben. Noch im Mai 1968 habe Lauter die öffentliche Darstellung des Vorhabens überarbeitet. In der Pressemitteilung Nr. 87/2004 der PDS-Fraktion des sächsischen Landtags habe Lauter schließlich eingeräumt, die Vorlage für die Durchführung des Politbüro-Beschlusses zur Beseitigung der Universitätskirche erarbeitet zu haben und dies mit den Worten gerechtfertigt, er habe trotz seiner Vorbehalte aus Parteidisziplin gehandelt. Die Gründe für die spätere Abberufung Lauters hätten mit der Sprengung der Universitätskirche nichts zu tun gehabt. Dass er nicht als politisch unzuverlässig eingestuft worden sei, lasse sich an seiner späteren Karriere als Hochschullehrer deutlich ablesen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt ihrer wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

1. Die Zulässigkeit der negativen Feststellungsklage scheitert nicht gemäß § 256 Abs. 1 ZPO am fehlenden Feststellungsinteresse des Klägers.

Vielmehr beruht das Feststellungsinteresse des Klägers, das grundsätzlich daran anknüpft, dass sich die Beklagten ihm gegenüber der streitgegenständlichen Ansprüche berühmen, ungeachtet der zwischenzeitlich von den Beklagten erhobenen Leistungsklage solange fort, wie über diese Leistungsklage noch nicht streitig verhandelt wurde, diese vielmehr noch einseitig zurückgenommen werden könnte (Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 256, Rdnr. 7 d).

Der letztgenannten Möglichkeit haben sich die hiesigen Beklagten nicht dadurch begeben, dass sie darauf verzichtet haben, die ihrerseits in München erhobene Klage zurückzunehmen. Die Klagerücknahme ist eine Prozesshandlung, deren Wirksamkeit allein daran geknüpft ist, dass die Prozesshandlungsvoraussetzungen erfüllt sind und eine Erklärung bei Gericht eingeht (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 22. Aufl., vor § 128, Rdnr. 16 ff.). Ob die Klagerücknahme mit früheren Absichtserklärungen des Erklärenden in Einklang steht, spielt keine Rolle. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass die Zivilprozessordnung einer solchen Erklärung nur im Fall des Rechtsmittelverzichts gemäß §§ 514, 565 ZPO verbindliche Wirkung beimisst. Eine analoge Anwendung dieser Vorschriften kommt deshalb nicht in Betracht, weil das Gesetz die Voraussetzungen der Klagerücknahme in § 269 ZPO ausdrücklich regelt und es damit an einer Gesetzeslücke fehlt.

2. Die Klage ist aber unbegründet, weil sich die Beklagten dem Kläger gegenüber zu Recht eines Unterlassungsanspruches und eines Widerrufsanspruchs berühmen.

a) Ein Anspruch darauf, es zu unterlassen, in Bezug auf den streitgegenständlichen Beitrag in der Zeitung "FOCUS" zu behaupten und/oder verbreiten zu lassen, es handele sich um eine Geschichtsfälschung, steht den Beklagten gegenüber dem Kläger gemäß §§ 823 Abs. 1 und 2, analog 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG deshalb zu, weil der Kläger keine hinreichenden Anknüpfungspunkte dafür genannt hat, dass die Beklagten das historische Geschehen unzutreffend skizziert haben. Sein Vorwurf genießt deshalb nicht den Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit durch Artikel 5 Abs. 1 GG.

Der Vorwurf, die Beklagten betrieben eine elende Geschichtsfälschung, indem sie Hans Lauter vorwürfen, er habe 1968 einen Maßnahmeplan zur öffentlichen Rechtfertigung der Zerstörung der Universitätskirche ausgearbeitet, stellt eine die Beklagten diskreditierende unwahre Tatsachenbehauptung dar, die nicht vom Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit durch Artikel 5 Abs. 1 GG umfasst ist.

Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist. Auch eine Äußerung, die auf Werturteilen beruht, kann sich als Tatsachenbehauptung erweisen, wenn und soweit bei dem Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingekleideten Vorgängen hervorgerufen wird. Wo Tatsachenbehauptungen und Wertungen zusammenwirken, wird grundsätzlich der Text in seiner Gesamtheit von der Schutzwirkung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG erfasst. Sofern eine Äußerung, in der sich Tatsachen und Meinungen vermengen, in entscheidender Weise durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, wird sie als Werturteil und Meinungsäußerung in vollem Umfang vom genannten Grundrecht geschützt. Im Fall einer derart engen Verknüpfung der Mitteilung von Tatsachen und ihrer Bewertung darf der Grundrechtsschutz der Meinungsfreiheit nicht dadurch verkürzt werden, dass ein tatsächliches Element aus dem Zusammenhang gerissen und isoliert betrachtet wird (BGH NJVV 1996, 1131, 1133 m. w. Nachw.).

Der Schutz der Meinungsfreiheit für Tatsachenbehauptungen endet erst dort, wo sie zu der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung nichts beitragen können. Unter diesem Gesichtspunkt ist unrichtige Information kein schützenswertes Gut. Die erwiesen oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptung wird nicht vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfasst (BVerfG NJV\/ 1992, 1439, 1440 m. w. Nachw.).

Maßgebend für die rechtliche Beurteilung der Äußerung ist zunächst das Verständnis des unbefangenen Durchschnittsempfängers (BGH NJW 1982, 2246, 2247). Dabei kommt es für das Verständnis über die Bedeutung, den Aussagegehalt und das Gewicht einer Äußerung nicht allein auf deren Wortlaut und auf deren Betrachtung losgelöst von ihrem Hintergrund an. Vielmehr ist die Äußerung im Zusammenhang und unter Berücksichtigung ihrer zugleich mitgeteilten Umgebung zu sehen, in die sie gestellt ist. Denn es ist dieser Kontext, der ihren Inhalt prägt und damit ihr Verständnis bestimmt (vgl. BGH NJW 1996, 11331, 1133 m. w. Nachw.; Kammergericht, Urteil vom 9. März 1993, 9 U 714/92).

Der Kläger hat den Vorwurf der Geschichtsfälschung nicht daran festgemacht, dass die Bezeichnung Hans Lauters als "Kirchensprenger" eine Verunglimpfung darstelle, die angesichts der von ihm in der Vergangenheit zum Ausdruck gebrachten antifaschistischen Haltung nach seinem Dafürhalten nicht zu rechtfertigen sei. Er ist vielmehr konkret auf den Vorwurf eingegangen, dass Hans Lauter einen Maßnahmeplan zur öffentlichen Rechtfertigung der Zerstörung der Universitätskirche ausgearbeitet habe und hat diese Darstellung als einen Akt der Geschichtsfälschung bezeichnet, weil Hans Lauter gerade wegen seiner ablehnenden Haltung zur Sprengung der Kirche Anfang 1969 als Sekretär der Leipziger Bezirksleitung abgelöst worden sei. Der Vorwurf steht und fällt damit mit der Behauptung, die opponierende Haltung Hans Lauters gegenüber der Kirchensprengung habe seine Abberufung zur Folge gehabt. Der Vorwurf der Geschichtsfälschung fasst mithin konkrete Tatsachen zusammen und ist damit im vorliegenden Fall im Ergebnis auch selbst dem Beweis zugänglich.

Die Behauptung erscheint indes unzutreffend.

Der Beschluss des Sekretariats der Bezirksleitung Leipzig vom 8. Januar 1969, mit dem Hans Lauter von seiner Funktion als Sekretär der Bezirksleitung entbunden wurde, begründet diese Entscheidung auf ganz andere Weise: Dort wird auf ungenügende Ergebnisse der Arbeit des Genossen Lauter verwiesen und dessen unwissenschaftlicher Arbeitsstil kritisiert, insbesondere aber werden Versäumnisse bei der Durchführung der Dritten Hochschulreform hervorgehoben. Irgendein Zusammenhang mit der Sprengung der Leipziger Universitätskirche ergibt sich daraus nicht.

Auch die Stellungnahme des Hans Lauter gegenüber der PDS-Mitgliederzeitschrift "Disput" im Jahre 1999 gibt keinen Hinweis darauf, dass gerade seine vermeintlich ablehnende Haltung gegenüber der Kirchensprengung seine Ablösung zur Folge gehabt habe. Vielmehr räumte der Befragte bei diesem Gespräch ausdrücklich ein, er habe innere Vorbehalte gegenüber der Sprengung der Universitätskirche gehabt, diese aber nicht offen und ehrlich vorgetragen. Auf den Vorhalt, er habe gesagt, dass ihm seine engen Kontakte zu Christen in Leipzig zum Vorwurf gemacht worden seien und dass er es zum Teil so habe empfinden müssen, dass seine Abberufung als Bezirkssekretär auch darauf zurückgegangen sei, antwortete Hans Lauter, ihm sei intern vorgehalten worden, dass er gegenüber parteischädigenden Vorgängen an der Universität blind geworden sei. Selbst wenn Hans Lauter also innere Vorbehalte gegenüber der mit dem von ihm erarbeiteten Maßnahmeplan vorbereiteten Beseitigung der Leipziger Universitätskirche gehabt haben sollte, so hat er sich dazu seinen jüngsten Bekundungen zufolge weder öffentlich bekannt noch hat er selbst seine spätere Abberufung als Bezirkssekretär bei jener Gelegenheit damit in Verbindung gebracht.

Auch die aktuelle Einlassung des Hans Lauter vom 7. März 2004, die die Beklagte als Anlage B 2 zu den Akten gereicht hat, zufolge derer der erste Sekretär der Bezirksleitung der SED Paul Fröhlich ihm im Zusammenhang mit der Kirchensprengung Versagen vorgeworfen haben soll, weil er die Sprengung zu hintertreiben versucht habe, indem er die Verantwortlichen der Universität zur Stimmenthaltung über den Plan ermuntert habe, rechtfertigt nicht die Behauptung, Hans Lauter sei Anfang 1969 gerade wegen seiner ablehnenden Haltung gegenüber der Kirchensprengung abgelöst worden. Wie dieser jüngsten Stellungnahme des Hans Lauter zu entnehmen ist, waren Probleme der Parteiarbeit an der Universität der eigentliche Anlass für seine Abberufung. Seine Interpretation, dass der im Januar 1969 schließlich gefasste Beschluss zu seiner Abberufung auch auf seinen latenten Widerstand gegen eine Sprengung der Universitätskirche Bezug genommen habe, indem in dem Beschluss wiederholt notwendige Korrekturen seiner Lageeinschätzung in Erinnerung gerufen worden seien, ist nicht nachvollziehbar. Es steht außer Streit, dass Hans Lauter der Anweisung, die Beseitigung der Kirche propagandistisch vorzubereiten, brav Folge leistete. Der von ihm entworfene Maßnahmeplan entsprach genau der vorgegebenen Linie und gab keine gegenteilige Lageeinschätzung wieder, die nachfolgend korrigiert worden wäre. Da auch die aktuelle Darstellung des Zeugen Lauter die Behauptung des Klägers mithin nicht zu untermauern vermag, war dem angebotenen Zeugenbeweis nicht nachzugehen.

Die weiteren Argumente, die der Kläger dafür ins Feld führt, dass die Lebensleistung des Hans Lauter nicht darauf reduziert werden dürfe, dass er den Maßnahmeplan zur öffentlichen Rechtfertigung der Kirchenzerstörung erarbeitet habe und dass Hans Lauter jedenfalls nicht die Rolle eines Hauptverantwortlichen für die Kirchensprengung gespielt habe, sind nicht entscheidungserheblich, weil sie die einzig im Streit stehende Frage, ob Hans Lauter gerade wegen seiner ablehnenden Haltung abgelöst worden sei, nicht beantworten. Der Kläger hat den gegenüber den Beklagten erhobenen Vorwurf der Geschichtsfälschung nicht daran festgemacht, dass die Beklagten das Lebenswerk des Hans Lauter nicht richtig gewürdigt und seiner Rolle im Zusammenhang mit der Kirchensprengung möglicherweise zu viel Gewicht beigemessen hätten. Vielmehr hat er seinen Vorwurf allein darauf gestützt, dass die Ausarbeitung des Maßnahmeplans Hans Lauter nicht zur Last gelegt werden dürfe, weil er in Wahrheit eine ablehnende Haltung gegenüber der Kirchensprengung eingenommen habe und deretwegen sogar als Sekretär der Bezirksleitung abgelöst worden sei. Diese Begründung für den gegenüber den Beklagten erhobenen Vorwurf der Geschichtsfälschung ist von entscheidender Bedeutung: Hätte der Kläger den Vorwurf der Geschichtsfälschung nicht näher konkretisiert, so hätte sich der Eindruck aufdrängen können, der Kläger kritisiere allein den Stellenwert, den die Beklagten dem Vorfall beimaßen. Indem der Kläger aber den Vorwurf der Geschichtsfälschung daran festgemacht hat, dass Hans Lauter gerade wegen seiner opponierenden Haltung abgelöst worden sei, hat er zu erkennen gegeben, dass er nicht lediglich den politischen Blickwinkel der Beklagten kritisiere, sondern ihnen zur Last lege, eine bloße Halbwahrheit verbreitet und Tatsachen unterschlagen zu haben, die das Verhalten Hans Lauters in ein ganz anderes Licht rücken könnten. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Äußerung ist stets der konkrete Kontext, in dem die Äußerung gefallen ist. Deshalb lässt sich der vom Kläger erhobene Vorwurf nur rechtfertigen, solange die Behauptung, an die er anknüpft, der Wahrheit entspricht. Ob der Vorwurf der Geschichtsfälschung in anderem Kontext, nämlich ohne Bezugnahme auf die Gründe für die Abberufung des Hans Lauter als Sekretär der Leipziger Bezirksleitung, hätte erhoben werden dürfen, um die Entsendung des Hans Lauter in die Bundesversammlung zu verteidigen, ist hingegen nicht entscheidungserheblich.

b) Der Kläger ist den Beklagten gegenüber gemäß §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, analog 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG auch zum Widerruf der Behauptung, der Artikel stelle eine Geschichtsfälschung dar, verpflichtet, weil der Vorwurf aus den vorgenannten Gründen sachlich nicht gerechtfertigt ist und ein Widerruf dieser Behauptung erforderlich ist, um die Rufbeeinträchtigung der Beklagten zu beheben.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.


Mauck
von Bresinsky
Gollan

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