Zur haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit für die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht im Fall der Organleihe.
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
02. 02. 2006
Aktenzeichen
III ZR 159/05
Tatbestand:
Ein bei der Klägerin kaskoversicherter Lkw der Firma K. verunglückte
am 8. Juni 1998 auf der F. -Straße in D. . Das Fahrzeug brach neben
der Abdeckung eines Sielschachtes bis über die Achsen ein. An der Unfallstelle
hatte die P. G. GmbH & Co. KG (im Folgenden: P. G. ) kurz
zuvor einen Rohrgraben ausgehoben, anschließend aber nicht wieder ordnungsgemäß
verfüllt.
Die F. -Straße gehört zur L. -Siedlung. Die Liegenschaft
steht im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland, der an dem Revisionsverfahren nicht beteiligten früheren Beklagten zu 2. Die Bundesrepublik Deutschland
hat das Gelände den amerikanischen Streitkräften zur Nutzung überlassen.
Die Sielbauarbeiten hatte das Staatsbauamt D. (künftig: Staatsbauamt)
des (erst-)beklagten Landes im Namen und für Rechnung der Bundesrepublik
Deutschland an P. G. vergeben. Die Straße war nach Abschluss
der Bauarbeiten ohne korrekte Verdichtungsprüfung für den Verkehr freigegeben
worden.
Die Klägerin regulierte den Schaden der Fahrzeughalterin K. . Nach
erfolgloser Klage gegen P. G. beansprucht sie von dem beklagten Land,
dem sie im Vorprozess den Streit verkündet hatte, Schadensersatz wegen Verletzung
der Verkehrssicherungspflicht. Sie hat gegen das beklagte Land und
gegen die Bundesrepublik Deutschland - letztere sollte als Auftraggeberin der
Bauarbeiten für Pflichtverletzungen der Mitarbeiter des Staatsbauamtes haften -
als Gesamtschuldnern Klage auf Zahlung von 11.699,79 € nebst Zinsen erhoben.
Das Landgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Das Berufungsgericht
hat der Klage gegen das beklagte Land bis auf einen Teil des Zinsanspruchs
stattgegeben. Die Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland hat es
dagegen abgewiesen; insoweit ist das Berufungsurteil rechtskräftig. Mit der von
dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt das beklagte Land seinen
Antrag, die Klage abzuweisen, weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist unbegründet.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Das beklagte Land hafte aus unerlaubter Handlung für das Verhalten der
Mitarbeiter des Staatsbauamtes.
Das Staatsbauamt sei unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflicht
(§ 823 Abs. 1 BGB) gehalten gewesen, die Standfestigkeit der
Straße nach dem Abschluss der Bauarbeiten zu prüfen. Weil dies pflichtwidrig
unterblieben sei, sei die von der unzureichenden Verfüllung des Rohrgrabens
durch P. G. ausgehende Gefahr, dass Fahrzeuge einsacken, nicht aufgedeckt
und beseitigt worden. Dem Staatsbauamt habe die Verkehrssicherungspflicht
im Baustellenbereich obgelegen, weil es bei der Vergabe und
Überwachung der Bauarbeiten verantwortlich eingeschaltet gewesen sei, die
Gefahr der mangelnden Tragfähigkeit "veranlasst" habe und tatsächlich sowie
rechtlich habe Abhilfe schaffen können. Es sei ohne Belang, dass das Staatsbauamt
im Wege der Organleihe für die Bundesrepublik Deutschland tätig geworden
sei. Es sei weder vorgetragen noch erkennbar, dass die Bundesrepublik
Deutschland - von der Wahrnehmung der Fachaufsicht abgesehen - den Einsatz
der Mitarbeiter des beklagten Landes gesteuert, sie kontrolliert oder ihnen
Weisungen erteilt habe.
II.
Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Prüfung stand.
Die Klägerin kann von dem beklagten Land - aus übergegangenem
Recht ihrer Versicherungsnehmerin - Schadensersatz wegen Verletzung der
Verkehrssicherungspflicht durch Bedienstete seines Staatsbauamtes verlangen
(§ 67 Abs. 1 Satz 1 VVG i.V.m. § 823 Abs. 1 oder § 831 Abs. 1 BGB).
1. Die allgemeine Verkehrssicherungspflicht beruht auf dem Gedanken,
dass derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle oder
einen gefahrdrohenden Zustand schafft oder andauern lässt, die Pflicht hat, alle
ihm zumutbaren Maßnahmen und Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung
anderer zu verhindern (vgl. z.B. Senatsurteile vom 17. März 1983 - III ZR
16/82 - VersR 1983, 639, 640
a) Das Staatsbauamt des beklagten Landes schuf eine Gefahrenquelle.
Es hatte das Bauunternehmen P. G. beauftragt, unter anderem die in
der F. -Straße verlaufenden Entwässerungsrohre zu sanieren. Nach Beendigung
der Bauarbeiten war die Tragfähigkeit der Straße nicht fachgerecht
geprüft worden. Dennoch wurde die Straße von P. G. - in Abstimmung
mit dem Staatsbauamt - für den Verkehr freigegeben. Die letztere Feststellung
des Berufungsgerichts wird von der Revision zwar in Frage gestellt; die Rüge
bleibt aber erfolglos, weil die Revision gegenteiligen Parteivortrag nicht aufzeigt.
b) Das Staatsbauamt hätte die Wiedereröffnung des Verkehrs nicht ohne
sachgerechte Standfestigkeitsprüfung an der früheren Baustelle zulassen dürfen.
Im Zuge der Sielbauarbeiten war in der F. -Straße ein Rohrgraben
ausgehoben und wieder verfüllt worden. Bei einem solchen erheblichen Eingriff
in den Straßenkörper konnten sich erfahrungsgemäß durch ein natürliches
Nachsacken der Verfüllmassen Hohlräume unter der Fahrbahn bilden. Mit einer
solchen verborgenen Gefahr hätten die - sachkundigen - Bediensteten des
Staatsbauamtes rechnen, ihr durch geeignete Prüfungen begegnen und gegebenenfalls
Abhilfe schaffen müssen (vgl. Senatsurteil vom 26. Oktober 1972
- III ZR 2/71 - VersR 1975, 126, 127); solche Maßnahmen sind fahrlässig unterblieben.
2. Die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit des beklagten Landes für die
vorbeschriebene Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Bediensteten
seines Staatsbauamtes (§ 823 Abs. 1 i.V.m. §§ 31, 89 Abs. 1 BGB oder
§ 831 Abs. 1 BGB) entfällt - entgegen der Auffassung der Revision - nicht deshalb,
weil das Staatsbauamt hier an die Bundesrepublik Deutschland entliehenes
Organ war.
a) Baumaßnahmen zur Deckung des Bedarfs der ausländischen Truppen
und eines zivilen Gefolges - wie hier die Sanierung der Entwässerung auf dem
Gelände der L. -Siedlung - werden in der Regel durch die für Bundesbauaufgaben
zuständigen deutschen Behörden (und nicht durch die Behörden der
Truppen und eines zivilen Gefolges) - nach Maßgabe der geltenden deutschen
Rechts- und Verwaltungsvorschriften und besonderer Verwaltungsabkommen -
durchgeführt (vgl. Art. 49 Abs. 2 Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut,
Art. 2.1 und 4.1 des deutsch-amerikanischen Verwaltungsabkommens - ABG
1975 - über die Durchführung der Baumaßnahmen für und durch die in der
Bundesrepublik Deutschland stationierten US-Streitkräfte vom 1. Oktober 1982
BGBl. II S. 893). Durch gemäß § 8 Abs. 7 Satz 1 Finanzverwaltungsgesetz
(FVG) zulässige Verwaltungsvereinbarung mit dem jeweiligen Land hat der
Bund die Erledigung seiner Bauaufgaben den örtlichen Landesbehörden und
die Leitung dieser Aufgaben einer Landesvermögens- und Bauabteilung der
Oberfinanzdirektion übertragen; dabei handelt es sich, wie inzwischen durch § 8
Abs. 7 Satz 1 FVG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes
und anderer Gesetze vom 14. Dezember 2001 (BGBl. I
S. 3714) klargestellt worden ist, um die Vereinbarung einer Organleihe (vgl.
Stellungnahme des Bundesrates zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
des Finanzverwaltungsgesetzes und anderer Gesetze sowie Gegenäußerung
der Bundesregierung BT-Drucks. 14/6140 S. 16 und 20; Lodde, Rechtsfragen
der Organleihe im Bund-Länder-Verhältnis unter besonderer Berücksichtigung
der Bundesbauverwaltung, Dissertation Münster 1990 S. 93 ff, 111 f; siehe
auch Rinke in Kodal/Krämer, Straßenrecht 6. Aufl. 1999 Kap. 15 Rn. 29).
Dementsprechend
erledigte hier das Staatsbauamt des beklagten Landes bei der
Vergabe und Überwachung der Sielbauarbeiten auf dem Gelände der L. -
Siedlung im Wege der Organleihe Bauaufgaben des Bundes.
b)
aa) Das Institut der Organleihe ist dadurch gekennzeichnet, dass das
Organ eines Rechtsträgers ermächtigt und beauftragt wird, einen Aufgabenbereich
eines anderen Rechtsträgers wahrzunehmen. Das entliehene Organ wird
als Organ des Entleihers tätig, dessen Weisungen es unterworfen ist und dem
die von diesem Organ getroffenen Maßnahmen und Entscheidungen zugerechnet
werden. Der Begriff "Organleihe" hat freilich keine festen Umrisse. Unter ihn
werden verschiedenartige organisatorische Erscheinungsformen eingeordnet.
Wesentlich für die als Organleihe bezeichneten verwaltungsorganisatorischen
Erscheinungsformen ist das Merkmal der Amtshilfe (in einem weiteren Sinne):
Ein Verwaltungsträger hilft einem anderen mit seinen personellen und sächlichen
Mitteln aus, weil dieser aus Zweckmäßigkeitsgründen entsprechende Einrichtungen
nicht schaffen will. Kennzeichnend für die Organleihe ist weiterhin,
dass die "entliehene" Einrichtung Verwaltung für die "entleihende" ausübt (vgl.
BVerfGE 63, 1, 31 f; BVerwG NJW 1976, 1468, 1469).
bb) Die vorgenannten organisationsrechtlichen Erwägungen, die vornehmlich
die verfassungsrechtliche Beurteilung der Organleihe, die öffentlichrechtliche
Zuordnung des Verwaltungshandelns und das Innenverhältnis der an
der Organleihe mitwirkenden öffentlich-rechtlichen Körperschaften betreffen,
können nicht ohne weiteres auf das haftungsrechtliche Außenverhältnis (§ 823
Abs. 1 i.V.m. § 31, § 89 Abs. 1 oder § 823 Abs. 1 i.V.m. § 831 BGB) gegenüber
dem durch eine Pflichtverletzung Geschädigten übertragen werden (vgl.
BVerwG aaO S. 1470). Insoweit ist vielmehr eine Differenzierung geboten, die
auf die Vielfalt der als Organleihe aufgefassten organisatorischen Ausgestaltungen
Bedacht nimmt.
Besteht die Organleihe darin, dass einzelne Beamte oder sonstige Bedienstete
unter (teilweiser) Herauslösung aus der Organisation ihrer "verleihenden"
(Anstellungs-)Körperschaft in den "Betrieb" der "entleihenden" Körperschaft
eingegliedert werden, so haftet bei Pflichtverletzungen eines dieser Bediensteten,
die er bei Wahrnehmung der der "entleihenden" Körperschaft obliegenden
Aufgabe begangen hat, die "entleihende" Körperschaft (vgl. Senatsurteil
vom 19. Januar 1989 - III ZR 258/87 - VersR 1989, 477 und BGH, Urteil vom
31. Mai 1988 - VI ZR 275/87 - VersR 1988, 957, 958
Demgegenüber hat der Senat durch Urteil vom 2. Dezember 2004
(BGHZ 161, 224, 231 f) entschieden, dass die See-Berufsgenossenschaft bei
der Wahrnehmung der ihr nach § 6 Abs. 1 SeeaufgG zugewiesenen Aufgaben
des Bundes nach § 1 Nr. 4 SeeaufgG für Amtspflichtverletzungen ihrer Mitarbeiter
haftungsrechtlich verantwortlich ist. Den Einwand der See-Berufsgenossenschaft,
ihre Mitarbeiter hätten keine körperschaftlichen Selbstverwaltungsaufgaben,
sondern im Wege der Organleihe Aufgaben des Bundes wahrgenommen,
hat der Senat zurückgewiesen und ausgesprochen, entscheidend sei,
dass nicht zu erkennen sei, dass der Bund - von der Wahrnehmung der Fachaufsicht
abgesehen - den Einsatz der Mitarbeiter gesteuert, sie kontrolliert oder
ihnen Weisungen erteilt habe.
cc) Bezüglich der - hier allein einschlägigen - Haftung wegen Verletzung
der Verkehrssicherungspflicht kommt es für die haftungsrechtliche Zurechnung
vor allem darauf an, wer in der Lage gewesen ist, die zur Gefahrenabwehr erforderlichen
Maßnahmen zu treffen (vgl. Senatsurteil vom 19. Januar 1989 aaO
und BGH, Urteil vom 31. Mai 1988 aaO). Die Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich
eines öffentlichen Weges beruht darauf, dass durch die Zulassung des
öffentlichen Verkehrs über das Wegegrundstück von diesem Weg eine Gefahr
für Dritte ausgeht. Demzufolge ist für die Beseitigung der von einem öffentlichen
Weg ausgehenden Gefahr derjenige verantwortlich, der den gefährlichen Zustand
"geschaffen" hat, indem er den Verkehr tatsächlich zugelassen hat oder
hat andauern lassen, und dieser Gefahrenlage zu begegnen im Stande gewesen
ist (vgl. Senatsurteil BGHZ 16, 95 ff
Dementsprechend trifft im Streitfall das beklagte Land die haftungsrechtliche
Verantwortlichkeit. Es ist nicht ersichtlich, dass der Bund die Bediensteten
des Staatsbauamts - über die Fachaufsicht hinaus - steuerte, kontrollierte und
ihnen Weisungen erteilte. Solche Umstände hat das Berufungsgericht, wie die
Revision nicht durch Verweis auf entgegenstehenden Tatsachenvortrag entkräftet
hat, nicht festzustellen vermocht. Vielmehr ist davon auszugehen und die
Verkehrssicherungspflicht des beklagten Landes dadurch begründet, dass dessen
Staatsbauamt die tatsächliche Verfügungsmacht über die fragliche Straße
innehatte und imstande war, der von der früheren Baustelle ausgehenden Gefahr
für den Verkehr zu steuern. Denn es ließ nach der Beendigung der Bauarbeiten
die Wiedereröffnung des Verkehrs an der fraglichen Stelle zu. Demgegenüber
ist nicht entscheidend, dass es diese tatsächliche Verfügungsmacht
nicht als Träger der Straßenbaulast oder auf der Grundlage einer gesetzlichen
Aufgabenzuweisung, sondern aufgrund einer (freiwillig eingegangenen) Verwaltungsvereinbarung mit dem Bund erlangt hatte (vgl. BGH, Urteil
vom 17. Januar 1989 - VI ZR 186/88 - NJW-RR 1989, 394, 395).
Schlick
Streck
Kapsa
Dörr
Galke
Vorinstanzen
LG Darmstadt, Entscheidung vom 02.02.2005 - 4 O 419/04 -;
OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 30.06.2005 - 1 U 65/05 -
Rechtsgebiete
Haftungsrecht
Normen
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